Donnerstag, 16. April 2015

Onkel Mehmet und das Hartz-IV-Gemüse





Eins mal vorweg. Das Foto oben ist eine Fälschung, eine ganz billige Montage. Das ist natürlich kein echtes Biogemüse. Schließlich bin ich arbeitslos. Ungespritztes Gemüse, frei von Pestiziden und Giften, angebaut ohne Gentechnik und ohne die Ausbeutung von Polen, Marokkanern oder Rumänen – das fängt erst bei der besseren Mittelschicht an.

Trotzdem wollte ich mir nach einer weiteren fruchtlosen Woche voller Bewerbungen und noch mehr Absagen etwas Gutes tun und stapfte in ein kleines, alternatives Bio-Vegan-Buffet-Irgendwas-Restaurant. Ich wählte den kleinen Teller, den ich mir dann randvoll mit Blumenkohl, Kartoffeln, Paprika und Erdnusssauce auftürmte. An der Kasse traf mich dann der Schlag. „7,90€, bitte.“ So mancher Fleischesser hätte sich längst darüber beschwert, dass er für solch eine Beilage niemals so viel Geld zahlen würde. Doch ich wusste, ich kaufe weit mehr als nur Gemüse. Trotzdem musste ich schlucken. Vor nicht einmal knapp 2 Jahren gab es diesen Teller nämlich noch für 5,90€.
Aber ehe sich die obligatorischen Schuldgefühle einer Hartz IV-Empfängerin, die sich auf Staatskosten Biogemüse leistet, überhaupt hoch kommen konnten, beschloss ich lieber, es achtsam zu genießen. Man möchte ja meinen, dass um mich herum nur Hipster, Ökos und stillende Latte Macchiato-Mütter gesessen hätten. Doch weit gefehlt. Im Augenwinkel sah ich die schwarzen Reihen von Anzugträgern und mir wurde klar, dass Bio längst bei den Bürohengsten aus den umliegenden Anwaltskanzleien und Banken angekommen ist.

Wahrscheinlich wäre es für mich billiger, mich von Ja-Mortadella, einem Kilo Palmfett, Gummibärchen, Weißbrot und Ja-Frühstückskorn zu ernähren, als von Obst und Gemüse. Leider bekomme ich es da aber doch schnell am Magen. Doch Gott sei Dank habe ich einen Onkel Mehmet-Laden, wie wir liebevoll unseren türkischen Gemüsehändler in unserem Stadtteil nennen, in unserer Nähe. Ohne ihn könnte ich meine Gier nach Gemüse gar nicht stillen. Trotzdem bereitet es mir schon ein komisches Gefühl in der Magengegend, wenn man Anfang April ein 500 g-Päckchen Erdbeeren für 0,49 € kaufen kann. Der Händler greift in die Kiste und raschelt mit der Plastikverpackung der Erdbeeren. „Kaufen, billig, billig“, brüllt er dabei, als würde er ein buddhistisches Mantra wiederholen. In solchen Momenten bekomme ich doch Hemmungen zu zugreifen. Ich mache mir nichts vor. Irgendwoher muss dieser Preis kommen. Oder der Kram ist irgendwo vom Laster gefallen.

Noch zu meiner Studentenzeit habe ich das Buch „Arm, aber Bio“ von Rosa Wolf gelesen. Die Autorin, zu dieser Zeit selbst arbeitslos, wagte das Experiment, sich allein von dem schmalen Hartz-IV-Satz komplett biologisch zu ernähren. Neben Spar- und Rezepttipps, erzählt sie, wie sie die Hürde der Verköstigung ihrer Gäste meistert. Denn eines ist mal klar: es ist sehr, sehr mühsam, sich streng aus biologischem Anbau zu ernähren. Sie verbringt viel Zeit damit, Angebote zu vergleichen und fährt auch mal bis ans andere Ende der Stadt, wenn dort günstige Angebote zu ergattern sind. Die Abwechslung auf dem Teller ist nicht gerade groß. Viele Produkte fallen sogar ganz weg, wie Kaffee oder Fleisch. Dennoch zieht sie das Fazit, dass es möglich ist, wenn auch unter großem Verzicht und Einschränkung.

http://www.hartziv.org/regelbedarf.html

Die kleine Tabelle hier zeigt, dass einem Hartz IV-Empfänger in der Regel 141,65€ monatlich für Nahrung und alkoholfreie Getränke zur Verfügung stehen, also 4,57€ pro Tag. Lustigerweise decken sich die 7,90€, die für Gaststättendienstleistungen vorgesehen sind, genau mit dem Preis für meinen Bio-Buffet-Exzess. Wenn das mal kein Zufall ist. Und auch wenn es nichts mit dem gegenwärtigen Thema Ernährung zu tun hat, beachte man bitte auch die satten 1,52€, die einem für Bildung zustehen. Bin ich froh, dass ich eine Büchereikarte habe. Aber wenn ich fleißig spare, kann ich mir auch in 40 Monaten einen Sprachkurs bei der VHS leisten. Aber das nur by the way.

Gibt es eigentlich noch diese Rewe-Aktion? Man konnte für 5 Euro eine Tüte mit Lebensmitteln kaufen, die Rewe dann an die Tafel gespendet hat.
Zuerst war ich sehr angetan von dieser Idee. Ich dachte sogar daran, dabei mitzumachen. Doch als ich in die Tüte hineinsah, war der Anblick für mich doch mehr als ernüchternd. Ich wusste gar nicht, was mich mehr störte. Dass dieses Armenklischee vom Spaghettiesser mit Tomatensauce so stark bedient wurde oder dass es sich um die freudlosesten Lebensmittel handelte, die ich je gesehen habe. Soweit ich mich erinnere, befanden sich in der Tüte Spaghetti, Pilze aus dem Glas, Sonnenblumenöl, passierte Tomaten, Zucker und Kamillentee. Ich kann mir jetzt wirklich nichts drögeres vorstellen als Kamillentee. Den trinke ich maximal, wenn ich Magenbeschwerden habe.
Schließlich entschied ich mich gegen den Kauf dieser Tüte, weil ich dachte, dass selbst Hartz-IV-Empfänger sich diese langweiligen Grundnahrungsmittel leisten können.

Aber nicht, dass ich hier noch falsch verstanden werde. Ich schätze durchaus, wenn Leute oder Unternehmen sich engagieren, abgeben, teilen und sich Gedanken machen, wie man Gutes tun könnte. Aber Zucker und weißes, wertloses Mehl sind nicht gerade das, was ich unter gesunder Ernährung verstehe. Ich weiß echt nicht, wann das passiert ist, aber während Steckrüben und Pastinaken früher die Nahrung armer Leute waren, sind sie heute zu dem Trendessen einer sehr gesundheitsbewussten und wohlsituierten Schicht avanciert. Wer kann sich sonst auch Pastinakenschaum an Seebarsch leisten.

Ich wäre ja mal dafür, dass Schulspeisung eingeführt wird. Natürlich nicht gesponsert von Mäcces oder der GmbH für halbgare Notlösungen, sondern ich denke an wirklich gesundes Essen. Und nicht nur für die Kinder reicher Eltern, sondern für alle Kinder. Aber ach nee, da war ja was. Ernährung ist ja Privatsache der Eltern. Also in einem abgesteckten Rahmen. Denn für arme und einkommensschwache Eltern gilt nach wie vor die Regel: Gegessen wird, was dir die mildtätigen Mitmenschen vorsetzen. Da darf dann auch mal eine Träne der Rührung weggedrückt werden, wenn man den ganzen Monat Kamillentee und Nudeln essen darf. Ist eh der Situation angemessener und zudem besser für die Figur. Dann werden die ganzen frechen Blagen auch nicht so fett.


2 Kommentare:

  1. Könnte ich unterschreiben. Wie einiges, dass ihr hier veröffentlicht. Schöner Blog und schön nicht die einzige in der Situation zu sein, die kritisch denken kann (und will) ;) Dafür schon danke.

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  2. Danke Anonym. Pasota und ich hatten lange auch das Gefühl, mit vielen Ansichten alleine dazu stehen. Deshalb haben wir auch diesen Blog gegründet. Wir wollen diesem Unbehagen, dass doch recht häufig von der Umwelt schnell niedergebügelt wird, Ausdruck verleihen und hoffen, dass sich besonders auch die, die ebenso denken, hier gut aufgehoben fühlen. :)

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