Sonntag, 1. Februar 2015

Ausschussware Akademiker



Arbeitslose Akademiker? Ja, gibt’s die denn? Bestimmt nur so ein paar Loser, die es halt nicht auf die Reihe gekriegt haben, oder?  Irgendwelche Geisteswissenschaftler, die mal wieder trotz aller Warnungen stur am Arbeitsmarkt vorbeistudiert haben. Oder irgendwelcher BWLer-Überschuss, der beim aggressiven Gerangel um die Managerposten den Kürzeren gezogen hat.
Erklärungsversuche in der Richtung laufen letztlich immer auf das eine hinaus: Es muss irgendwie am persönlichen Versagen des Einzelnen gelegen haben.
Denn laut Statistik ist die Arbeitslosenquote von Akademikern im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern sehr gering. Dieses Fazit kann man so gut wie in jedem Artikel zu dem Thema nachlesen. Das ist schön und gut. Trotzdem werfen sich mir da ein paar Fragen auf:

  • Wie viele sind davon prekär beschäftigt? (Geringverdiener, Aufstocker, Taxifahrer usw.)
  • Wie viele hangeln sich seit Jahren von einer Befristung zur nächsten und verzichten deshalb schon ewig darauf, endlich mal komplett alle Kartons in der Wohnung auszupacken, weil man ja noch mal umziehen könnte?
  • Wie viele haben noch nie in dem Bereich gearbeitet, für den sie ursprünglich mal studiert haben?
  • Und bei wie vielen trifft alles auf einmal zu?

Ich selber stamme aus den Geisteswissenschaften und kann daher nur für diesen Bereich sprechen. Aber mir ist bewusst, dass es sogar in den Mintfächern nicht wenige gibt, die auch auf keinen grünen Zweig kommen.
Die Arbeitslosenquote speziell von Geisteswissenschaftlern ist nach 2009 von 2% auf 2,5 % gestiegen. Stichwort hierzu: Wirtschaftskrise. Die nächste steht uns ja eigentlich schon wieder bevor… Hinzu kommt noch das Elend, dass wenn man 5 Jahre nach seinem Abschluss den Einstieg immer noch nicht geschafft hat, das Wissen in den Augen von Ämtern und Arbeitgebern nahezu verfallen ist. Eine sehr traurige Einstellung wie ich finde, die das Potential von Menschen einfach verschenkt, weil irgendein Typ solch eine absurde These aufgestellt hat. Man kommt sich vor wie ein verdorbenes Produkt, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist – wie saure Milch - und nicht wie ein junger Mensch, der noch Energie und Lernwillen hat, auch wenn vielleicht sein Wissen ein wenig eingerostet ist.

Der größte Fehler unserer Zeit, ist, dass wir ständig den Fehler bei den Bewerbern suchen.
Was war die ursprüngliche Grundidee unserer sozialen Marktwirtschaft? Ich bin kein Wirtschaftswissenschaftler, aber in meiner großartigen Laienhaftigkeit, denke ich doch, dass jeder Erwachsene eine Arbeit im Rahmen seiner Qualifikation bekommen sollte, um damit sein Auskommen zum Leben verdienen zu können.
Ein Freundin hat einmal zu mir gesagt: „Pass auf, sonst musst du am Ende putzen gehen!“ Nichts gegen Putzen. Das ist eine ehrenwerte, sehr harte Tätigkeit. Aber ich frage mich, gibt es nur Erfolg oder Niederlage, Unten oder Oben, Schwarz oder Weiß, Top oder Flop? Weshalb wird man gezwungen in unserer Leistungsgesellschaft in solch einem extremen Gefälle zu denken? Gibt es nichts dazwischen, was auch zufrieden macht?
Im Augenblick beobachte ich nur, dass bei der kleinsten Abweichung im Lebenslauf Vorurteile von Seiten der Personaler aufgebaut werden, die teilweise so weit führen, dass mancher überhaupt keinen Fuß mehr in die Tür der ach so herrlichen Arbeitswelt bekommt, umso länger die Arbeitslosigkeit andauert.
Aus den Erzählungen meiner Eltern und anderer Leute um die 60zig hat es vor 30 - 40 Jahren noch gereicht, in irgendeinen Betrieb auf der anderen Straßenseite zu gehen und zu fragen, ob jemand gebraucht wird. Dann wurde per Handschlag alles geregelt und schon am nächsten Morgen konnte man ohne großes Trara anfangen. Ob auf dem Bau oder im Büro. Was heute 1 Person bewältigen muss, haben früher 3-4 Personen erledigt. Um das Wochenende einzuläuten hat man sich Freitagmittag auf der Arbeit ein Bierchen oder einen Mariacron gegönnt. Niemand fand das komisch. So salopp und für heutige Gepflogenheiten mega unprofessionell begannen richtig erfolgreiche Karrieren. Auf diese Weise haben sich Menschen tatsächlich hochgearbeitet. Was für eine verrückte Welt.
Heute wartet man teilweise wochenlang auf eine Antwort nach einem Vorstellungsgespräch. Nervös und verunsichert läuft man in der Wohnung auf und ab und überlegt, ob es nach 2 Wochen angemessen ist, mal vorsichtig nachzufragen, ob schon eine Entscheidung getroffen wurde. Schließlich geben die 5 Internetseiten und 3 Bewerbungsratgeber, die man schon 10 Mal gelesen hat, jeweils andere Ratschläge, wie man sich im Bewerbungsprozess auf GAR KEINEN FALL verhalten darf.
Dann 3 Wochen, zwei Anrufe und eine Mail später erhält man die Absage. Warum? Wieso? Das bleibt der Phantasie überlassen und die fängt irgendwann an zu gären.
Man versucht irgendwie dieses System zu checken. Schließlich wird einem eingetrichtert, dass, wenn man sich auf eine bestimmte Weise verhält und eine bestimmte Leistung abliefert, alles klappen wird. Hauptsache man bleibt authentisch. Aber bitte nur so, wie es einem die Bewerbungsratgeber und die Coachs vorgeben.
Zeitverträge, längere Phasen der Arbeitslosigkeit, Leiharbeit. Eigentlich normal geworden und jedenfalls in meiner Umgebung überall zu beobachten. Auch unter Akademikern. Trotzdem bleibt das Ideal des lückenlosen Lebenslaufs bestehen. Alles andere ist nach wie vor verdächtig.
In meiner Kindheit in den 80zigern haben meine Eltern noch für einen freien Samstag und die 35 Stundenwoche demonstriert. Heute wird man dafür schief angeguckt. Es hat diesen Nachgeschmack von Leistungsverweigerung, den sich heute ja nun wirklich niemand mehr leisten kann.
Man arbeitet heute nicht mehr nur allein, um sich oder seine Familie zu ernähren. Vielmehr ist es zur persönlichen Pflicht geworden zu arbeiten. Wenn man dieser Pflicht nicht angemessen nachkommt, steht man unter Generalverdacht, überhaupt nicht zu wollen. Schwarz oder weiß. Dieser Zustand wird in dem Augenblick besonders quälend, wenn man tatsächlich will, aber keine Chance bekommt. Die Türen bleiben verschlossen. Da kann es ja nur an einem selbst liegen, oder?
Unterschwellig oder teilweise sogar ganz offen schwingt dieser Vorwurf die ganze Zeit mit. Manchmal betroffen, manchmal regelrecht feindselig: „Du gibt dir vielleicht nicht genug Mühe!“ Immer wieder bekomme ich mit, wie gerade Akademiker, bevor sie von ihrem Leidensdruck arbeitslos zu sein, erzählen, erst einmal ihre ganze Vita und all ihre Bemühungen aufzählen, nur um sich vor einem Shitstorm abzusichern. Wie in der Sparkassenwerbung werden dann die Karten: Bestnote, Auslandssemester, 10 Praktika, 5 Karrieremessen, diverse Jobs ect, ect. auf den Tisch gelegt. Warum eigentlich? Ja, warum? Weil jeder Angst vor diesem Stempel hat: „Du hast dich nicht genug bemüht. Schäm dich.“
Ich habe noch nie von jemandem gehört, dass er sein Studium zwar nur mit einer 3 abgeschlossen hat, er aber trotzdem stolz ist, es geschafft zu haben. Wo seid ihr? Vielleicht habt ihr euch ja schon begraben lassen, weil ihr die Versager seid, die eure Verwandten lieber verschweigen? Oh Gott, der hat seinen Uniabschluss nur mit einer 3 und ohne Auslandssemester abgeschlossen. Am besten geht der in die Fischfabrik oder ins Callcenter. Ist ja praktisch wie ungelernt.
Ich finde, dass Problem liegt in der Wertschätzung der eigenen Leistung und in der eigenen Wahrnehmung in der Rolle als Bewerber. Auch ich bin nicht frei davon, mich oft wie ein Bittsteller zu fühlen. Als Bewerber agiert man ja oft allein. Die Gedanken kreisen dann darum, wie man sich möglichst gut verkaufen und präsentieren kann, ohne dass man wirklich weiß, was wirklich gefragt ist. Man steht so einer Art grauen Wand aus Arbeitgebern gegenüber, denen man es irgendwie recht machen möchte. Alles ist undurchdringlich. Man hört und liest viel und jedes Mal das Gegenteil von dem, was man davor gehört und gelesen hat. Der Druck durch das Arbeitsamt trägt dann den Rest zur allgemeinen Verunsicherung bei. Dabei verliert man oft den Bezug zu den eigenen Bedürfnissen und das ist natürlich kontraproduktiv, wenn man das werden möchte, für das Deutschland auch einmal bekannt war: Ein Freigeist.

1 Kommentar:

  1. Hallo,
    Ich wäre mit Ihrem Duktus hier d'accord.

    Also ich habe meine handwerklichen Fähigkeiten wiederentdeckt und handle möglichst nach: hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott.


    Man sieht meiner Umgebung daher inzwischen an, dass hier irgendwo ein Ingenieur zu leben scheint!

    Habe im sechsten Monat keine Krankenkasse. Sage aber lieber nicht, in welchem Bundesland ich mich aufhalten würde.

    Ohne das Internet wäre hier ganz schön tote Hose!
    Wenn man es schaffen könnte, angebliche Arbeitslosigkeit nicht als gleichbedeutend mit Faulheit darzustellen, wäre das hier im Südosten äußerst hilfreich. Dabei ist es ja nicht ganz falsch:

    dass ich auf anderer Leute Kosten leben würde, wäre nicht das Ziel, das ich anstrebe und meistens auch zu vermeiden schaffe (ich wäre in Frauenförderung aktiv und die von mir geförderte Dame hätte jetzt ein Pöstchen in einer hoheitlichen Stelle. Das wäre auch für mich ein Garant für meine Sicherheit. Ziehe aber trotzdem lieber in eine Studentenstadt zurück, sobald ich kann- um meiner Krankenversicherung willen zunächst.

    Liebe Grüße

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