Arbeitslose Akademiker? Ja, gibt’s die
denn? Bestimmt nur so ein paar Loser, die es halt nicht auf die Reihe gekriegt
haben, oder? Irgendwelche
Geisteswissenschaftler, die mal wieder trotz aller Warnungen stur am
Arbeitsmarkt vorbeistudiert haben. Oder irgendwelcher BWLer-Überschuss, der
beim aggressiven Gerangel um die Managerposten den Kürzeren gezogen hat.
Erklärungsversuche in der Richtung
laufen letztlich immer auf das eine hinaus: Es muss irgendwie am persönlichen
Versagen des Einzelnen gelegen haben.
Denn laut Statistik ist die
Arbeitslosenquote von Akademikern im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern sehr
gering. Dieses Fazit kann man so gut wie in jedem Artikel zu dem Thema nachlesen.
Das ist schön und gut. Trotzdem werfen sich mir da ein paar Fragen auf:
- Wie viele sind davon prekär beschäftigt? (Geringverdiener, Aufstocker, Taxifahrer usw.)
- Wie viele hangeln sich seit Jahren von einer Befristung zur nächsten und verzichten deshalb schon ewig darauf, endlich mal komplett alle Kartons in der Wohnung auszupacken, weil man ja noch mal umziehen könnte?
- Wie viele haben noch nie in dem Bereich gearbeitet, für den sie ursprünglich mal studiert haben?
- Und bei wie vielen trifft alles auf einmal zu?
Ich selber stamme aus den
Geisteswissenschaften und kann daher nur für diesen Bereich sprechen. Aber mir
ist bewusst, dass es sogar in den Mintfächern nicht wenige gibt, die auch auf
keinen grünen Zweig kommen.
Die Arbeitslosenquote speziell von
Geisteswissenschaftlern ist nach 2009 von 2% auf 2,5 % gestiegen. Stichwort
hierzu: Wirtschaftskrise. Die nächste steht uns ja eigentlich schon wieder
bevor… Hinzu kommt noch das Elend, dass wenn man 5 Jahre nach seinem Abschluss
den Einstieg immer noch nicht geschafft hat, das Wissen in den Augen von Ämtern
und Arbeitgebern nahezu verfallen ist. Eine sehr traurige Einstellung wie ich
finde, die das Potential von Menschen einfach verschenkt, weil irgendein Typ
solch eine absurde These aufgestellt hat. Man kommt sich vor wie ein
verdorbenes Produkt, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist – wie saure
Milch - und nicht wie ein junger Mensch, der noch Energie und Lernwillen hat,
auch wenn vielleicht sein Wissen ein wenig eingerostet ist.
Der
größte Fehler unserer Zeit, ist, dass wir ständig den Fehler bei den Bewerbern
suchen.
Was war die ursprüngliche Grundidee
unserer sozialen Marktwirtschaft? Ich bin kein Wirtschaftswissenschaftler, aber
in meiner großartigen Laienhaftigkeit, denke ich doch, dass jeder Erwachsene
eine Arbeit im Rahmen seiner Qualifikation bekommen sollte, um damit sein
Auskommen zum Leben verdienen zu können.
Ein Freundin hat einmal zu mir gesagt:
„Pass auf, sonst musst du am Ende putzen gehen!“ Nichts gegen Putzen. Das ist
eine ehrenwerte, sehr harte Tätigkeit. Aber ich frage mich, gibt es nur Erfolg
oder Niederlage, Unten oder Oben, Schwarz oder Weiß, Top oder Flop? Weshalb
wird man gezwungen in unserer Leistungsgesellschaft in solch einem extremen
Gefälle zu denken? Gibt es nichts dazwischen, was auch zufrieden macht?
Im Augenblick beobachte ich nur, dass
bei der kleinsten Abweichung im Lebenslauf Vorurteile von Seiten der Personaler
aufgebaut werden, die teilweise so weit führen, dass mancher überhaupt keinen
Fuß mehr in die Tür der ach so herrlichen Arbeitswelt bekommt, umso länger die
Arbeitslosigkeit andauert.
Aus den Erzählungen meiner Eltern und
anderer Leute um die 60zig hat es vor 30 - 40 Jahren noch gereicht, in
irgendeinen Betrieb auf der anderen Straßenseite zu gehen und zu fragen, ob
jemand gebraucht wird. Dann wurde per Handschlag alles geregelt und schon am
nächsten Morgen konnte man ohne großes Trara anfangen. Ob auf dem Bau oder im
Büro. Was heute 1 Person bewältigen muss, haben früher 3-4 Personen erledigt. Um
das Wochenende einzuläuten hat man sich Freitagmittag auf der Arbeit ein
Bierchen oder einen Mariacron gegönnt. Niemand fand das komisch. So salopp und
für heutige Gepflogenheiten mega unprofessionell begannen richtig erfolgreiche
Karrieren. Auf diese Weise haben sich Menschen tatsächlich hochgearbeitet. Was
für eine verrückte Welt.
Heute wartet man teilweise wochenlang
auf eine Antwort nach einem Vorstellungsgespräch. Nervös und verunsichert läuft
man in der Wohnung auf und ab und überlegt, ob es nach 2 Wochen angemessen ist,
mal vorsichtig nachzufragen, ob schon eine Entscheidung getroffen wurde.
Schließlich geben die 5 Internetseiten und 3 Bewerbungsratgeber, die man schon
10 Mal gelesen hat, jeweils andere Ratschläge, wie man sich im
Bewerbungsprozess auf GAR KEINEN FALL verhalten darf.
Dann 3 Wochen, zwei Anrufe und eine Mail
später erhält man die Absage. Warum? Wieso? Das bleibt der Phantasie überlassen
und die fängt irgendwann an zu gären.
Man versucht irgendwie dieses System zu
checken. Schließlich wird einem eingetrichtert, dass, wenn man sich auf eine
bestimmte Weise verhält und eine bestimmte Leistung abliefert, alles klappen
wird. Hauptsache man bleibt authentisch.
Aber bitte nur so, wie es einem die Bewerbungsratgeber und die Coachs vorgeben.
Zeitverträge, längere Phasen der
Arbeitslosigkeit, Leiharbeit. Eigentlich normal geworden und jedenfalls in
meiner Umgebung überall zu beobachten. Auch unter Akademikern. Trotzdem bleibt
das Ideal des lückenlosen Lebenslaufs bestehen. Alles andere ist nach wie vor verdächtig.
In meiner Kindheit in den 80zigern haben meine Eltern noch
für einen freien Samstag und die 35 Stundenwoche demonstriert. Heute wird man
dafür schief angeguckt. Es hat diesen Nachgeschmack von Leistungsverweigerung,
den sich heute ja nun wirklich niemand mehr leisten kann.
Man arbeitet heute nicht mehr nur
allein, um sich oder seine Familie zu ernähren. Vielmehr ist es zur
persönlichen Pflicht geworden zu arbeiten. Wenn man dieser Pflicht nicht angemessen
nachkommt, steht man unter Generalverdacht, überhaupt nicht zu wollen. Schwarz
oder weiß. Dieser Zustand wird in dem Augenblick besonders quälend, wenn man
tatsächlich will, aber keine Chance bekommt. Die Türen bleiben verschlossen. Da
kann es ja nur an einem selbst liegen, oder?
Unterschwellig oder teilweise sogar ganz
offen schwingt dieser Vorwurf die ganze Zeit mit. Manchmal betroffen, manchmal
regelrecht feindselig: „Du gibt dir vielleicht nicht genug Mühe!“ Immer wieder bekomme
ich mit, wie gerade Akademiker, bevor sie von ihrem Leidensdruck arbeitslos zu
sein, erzählen, erst einmal ihre ganze Vita und all ihre Bemühungen aufzählen,
nur um sich vor einem Shitstorm abzusichern. Wie in der Sparkassenwerbung
werden dann die Karten: Bestnote, Auslandssemester, 10 Praktika, 5
Karrieremessen, diverse Jobs ect, ect. auf den Tisch gelegt. Warum eigentlich? Ja,
warum? Weil jeder Angst vor diesem Stempel hat: „Du hast dich nicht genug
bemüht. Schäm dich.“
Ich habe noch nie von jemandem gehört,
dass er sein Studium zwar nur mit einer 3 abgeschlossen hat, er aber trotzdem
stolz ist, es geschafft zu haben. Wo seid ihr? Vielleicht habt ihr euch ja
schon begraben lassen, weil ihr die Versager seid, die eure Verwandten lieber
verschweigen? Oh Gott, der hat seinen Uniabschluss nur mit einer 3 und ohne
Auslandssemester abgeschlossen. Am besten geht der in die Fischfabrik oder ins
Callcenter. Ist ja praktisch wie ungelernt.
Ich finde, dass Problem liegt in der
Wertschätzung der eigenen Leistung und in der eigenen Wahrnehmung in der Rolle
als Bewerber. Auch ich bin nicht frei davon, mich oft wie ein Bittsteller zu
fühlen. Als Bewerber agiert man ja oft allein. Die Gedanken kreisen dann darum,
wie man sich möglichst gut verkaufen und präsentieren kann, ohne dass man
wirklich weiß, was wirklich gefragt ist. Man steht so einer Art grauen Wand aus
Arbeitgebern gegenüber, denen man es irgendwie recht machen möchte. Alles ist
undurchdringlich. Man hört und liest viel und jedes Mal das Gegenteil von dem,
was man davor gehört und gelesen hat. Der Druck durch das Arbeitsamt trägt dann
den Rest zur allgemeinen Verunsicherung bei. Dabei verliert man oft den Bezug zu
den eigenen Bedürfnissen und das ist natürlich kontraproduktiv, wenn man das werden möchte, für das Deutschland auch einmal bekannt war: Ein Freigeist.
Hallo,
AntwortenLöschenIch wäre mit Ihrem Duktus hier d'accord.
Also ich habe meine handwerklichen Fähigkeiten wiederentdeckt und handle möglichst nach: hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott.
Man sieht meiner Umgebung daher inzwischen an, dass hier irgendwo ein Ingenieur zu leben scheint!
Habe im sechsten Monat keine Krankenkasse. Sage aber lieber nicht, in welchem Bundesland ich mich aufhalten würde.
Ohne das Internet wäre hier ganz schön tote Hose!
Wenn man es schaffen könnte, angebliche Arbeitslosigkeit nicht als gleichbedeutend mit Faulheit darzustellen, wäre das hier im Südosten äußerst hilfreich. Dabei ist es ja nicht ganz falsch:
dass ich auf anderer Leute Kosten leben würde, wäre nicht das Ziel, das ich anstrebe und meistens auch zu vermeiden schaffe (ich wäre in Frauenförderung aktiv und die von mir geförderte Dame hätte jetzt ein Pöstchen in einer hoheitlichen Stelle. Das wäre auch für mich ein Garant für meine Sicherheit. Ziehe aber trotzdem lieber in eine Studentenstadt zurück, sobald ich kann- um meiner Krankenversicherung willen zunächst.
Liebe Grüße