Mittwoch, 11. November 2015

Das Recht Schnaps zu trinken – Obdachlose



Als ich siebzehn war und voller herrlicher Naivität, (die sich bis heute in mancher Hinsicht leider erhalten hat), dachte ich, dass ich einem Obdachlosen kein Geld geben dürfte, weil ich damit nur seinen Drogen- und Alkoholkonsum unterstützen würde. Und Drogen und Alkohol sind natürlich schlecht. Stattdessen sagte eine Freundin zu mir, dass ich diesen Leuten lieber ein belegtes Brötchen kaufen sollte. Nun überstieg es die Höhe meines Taschengeldes jedem Bettler ein belegtes Brötchen zu kaufen und ehrlich gesagt war ich auch ein bisschen zu schüchtern dafür. Also gab ich nichts und fühlte mich schlecht. War das die Lösung? Nein. 

Ich überwand mich eines Tages und kaufte schließlich dieses verdammte Brötchen. Aufgeregt steuerte ich den nächsten Obdachlosen an, in freudiger Erwartung, wie er auf meine Gabe reagieren würde. Doch er schüttelte bloß den Kopf. Er wollte lieber einen Döner. Empört und gekränkt stampfte ich von dannen. Einen Döner? Wie bitte? Und vielleicht noch ein bisschen Kaviar dazu?

Wie kann dieser Mann meine Geste der Barmherzigkeit einfach so abschmettern? Tja, er kann es, weil er’s kann. Ganz simpel.

Ich habe etwas gebraucht, bis ich verstanden habe, dass es nicht meine Aufgabe ist, darüber zu richten, wofür ein Obdachloser das Geld ausgibt, welches ich ihm freiwillig gebe. Schließlich brauche ich auch keine verurteilenden Blicke von meinem Chef, wenn ich den Lohn, den er mir auszahlt, in chinesisches Essen und teuren Wein investiere. 

Überhaupt ist es wohl ein wenig vermessen zu glauben, man könne durch Brötchenkauf einen Menschen vom Drogenkonsum abhalten oder durch die Verweigerung von Geld ihn ‚erziehen‘. Schon peinlich, dass ich das mal gedacht habe. Aber wie gesagt, ich war jung und fand es voll logisch.

Selbstverständlich wäre es wohl am einfachsten den Menschen zu fragen, was er braucht und wie es ihm geht. Nun bin ich einfach nicht der Typ, der fremde Leute auf der Straße anquatscht, egal ob sie obdachlos sind oder im Anzug herum laufen. Aber ein paar Mal haben sich doch kurze Gespräche ergeben. Eines ist mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben.

Mein Freund und ich sind auf der Königsallee an einem Obdachlosen vorbei gelaufen, der ein ganzes Schuhputzset vor sich ausgebreitet hatte. Er trug eine Schiebermütze. Aufrecht und mit hinter dem Rücken verschränkten Armen stand er da und wartete auf Kundschaft. Ich blickte hinunter auf die Schuhe meines Freundes. „Man, die könnten aber auch mal wieder geputzt werden. Die sind super dreckig. Was meinst du? Sollen wir zu diesem Mann gehen?“ Wir blieben stehen, schauten uns an und berieten uns. „Echt? Ist das nicht komisch? Sich so von einem anderen die Schuhe putzen zu lassen? Wirkt so wie ein fetter Kapitalist, der auf den Schuhputzer herabblickt.“ 

Szenen aus Charles Dickens Romanen tauchten vor meinem inneren Auge auf. Aber was ist die Alternative für diesen Mann? Wenn niemand zu ihm geht, um die Dienstleistung, die er anbietet, anzunehmen, weil niemand der fette Kapitalist sein möchte, hat er für diesen Tag auch nichts davon. 

Also entschlossen wir uns zu ihm zu gehen. Voller Begeisterung machte er sich an die Arbeit. Wir fragten ihn, wo er denn die tolle Ausrüstung her hätte und mit leuchtenden Augen erzählte er uns, wie er sie mühsam zusammen gespart hätte. „Den Kasten, wo sie ihren Fuß drauf stehen haben, habe ich für 75€ aus einem Antiquitätenladen. Es ist mein wertvollster Besitz. Aber es erleichtert mir die Arbeit. Sonst müsste ich mich so tief bücken, was in den Rücken geht.“ Der Mann erzählte uns vom harten Leben auf der Straße und das er seit über einem Jahr trocken sei. Aber er hätte in letzter Zeit einige Tagelöhnerjobs in Aussicht und dies sagte er nicht ohne Stolz in seiner Stimme.
Eigentlich redete er die ganze Zeit und wir hörten ihm bloß zu. Am Ende wünschten wir ihm Glück bei seinen weiteren Bemühungen. Es hatte nichts von diesem harten Unten-/ Obengefälle, welches wir befürchtet hatten.

Auch wenn solche Begegnungen bei mir doch eher selten sind, glaube ich, dass ein ehrliches, freundliches Lächeln und einen schönen Tag wünschen, es häufig auch schon tun. Und natürlich ein paar Euros dalassen. ;)

4 Kommentare:

  1. Das ist wirklich eine schöne Geschichte.

    Vor Jahren (2007?) habe ich von Baden-Württemberg aus meine Mutter besucht. Dort saß ein Mann an einem Campingtisch auf der Fußgängerzone und schnitzte kleine Holztiere. Das hatte ich in einer Ruhrgebietsstadt schon mal gesehen, muss um 2005 bei einem Besuch gewesen sein. Weil nun eine Kommilitonin von mir in Kürze Geburtstag hatte und ich auf dem Tisch auch ihre Lieblingstiere entdeckte kaufte ich ihm ein kleines Schweinchen ab und der erzählte dann auch…

    Natürlich gibt es auch die anderen Leute… Meine belegten Brötchen wollte auch mal wer nicht, zum Beispiel, das muss noch nicht mal mit Undankbarkeit zusammengehangen haben (kann ich nicht wissen). Mir sind in Heidelberg Leute begegnet, die richtig aggressiv gebettelt haben, so dass es mich, die eigentlich andere Reaktionen kannte, abgestoßen fühlte. Das ist eben unterschiedlich. Und vielleicht war ich nur so geschockt, weil ich früher für’s Abi ein Praktikum machen musste und da war ich in einer Einrichtung für wohnungslose Frauen, von denen keine so war und von denen mich zwei nachhaltig beeindruckt haben. Wenn dich mit ihr das interessiert kann ich dir das mal raussuchen und verlinken, ich habe irgendwann in meinem Blog mal über die eine, genau so alt wie ich damals, geschrieben, weil ich noch heute viel an sie denke. Will euch eure Kommentarspalte nicht zuknallen indem ich das hier wiederhole. Außerdem ist mir klar, dass bestimmt nicht alle so sind wie sie.

    Dieses Denken „Der/die kauft ohnehin nur Alkohol oder Drogen“ kann ich zwar nachvollziehen, habe ich aber lernen müssen. Ich konnte als junger Mensch gar nicht so denken, weil in den „guten“ Kreisen meines Umfeldes und meiner Familie so viele Leute suchtkrank - Alkohol, aber auch Drogen – waren (was wohl auch der Grund ist warum mir das „asoziale“ – doofes Wort – Verhalten bei „Bessergestellten“ eher auffällt.) Wenn in meiner Jugendzeit jemand so gesprochen hat, habe ich mir immer nur gedacht „Na und?“, weil die Leute in meinem Umfeld eben ihr Geld schon in so was investiert haben. Da bekommt man Tunnelblick. Gerade als junger Mensch, so lange man von den Eltern oder sogar dem Milieu nicht weg kann. Ich glaube, dass es dir deshalb auch nicht unbedingt – letztendlich kannst das nur du wissen – peinlich sein muss, dass du als junger Mensch halt so dachtest wie du dachtest. Denn so einen Tunnelblick fokussiert auf das was man kennt hat jeder und es ist eben so, dass man ja wohnungslose Menschen nicht jeden Tag als Kontaktperson hat, wenn man nicht gerade täglich am Straßenzeitungsverkäufer vorbei muss oder ähnliches. Außerdem: Was haben denn die Eltern unserer Generation oft noch geglaubt, auch wenn sie wussten, dass es nicht stimmte? Viele haben doch wirklich sich eingeredet, dass in Deutschland niemand hungern oder frieren muss. Das wurde uns unterschwellig auch vermittelt (sofern ich mir das jetzt erlauben darf für die Generation(en) zu verallgemeinern). Heute ist das anders.

    Das mit dem "schönen Tag" stimmt allerdings zumindest für den Straßenzeitungsverkäufer hier vorm Supermarkt. Er sagt zu jedem Guten Tag und wenn man dann einfach nur grüßt, dann reicht ihm das schon. Obwohl er sich natürlich auch freut wenn er seine Zeitungen verkauft bekommt.

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    1. Danke für deinen Kommentar. :) Solch einen Mann, der kleine Holztiere schnitzt, gibt es hier in Düsseldorf auch. Mittlerweile besitze ich eine stolze Sammlung von drei Tieren, weil mein Freund, der Liebe, immer welche spontan mitgebracht hat. Gerade dies finde ich eine schöne Sache.
      Ich habe auch gelernt, dass jede Situation mit jedem Obdachlosen anders ist. Manchmal möchte man aus bestimmten Gründen, z.B. sehr aggressives Betteln nichts geben und dann finde ich das auch ok. Das heißt nicht, dass man nicht sozial eingestellt ist. Aber in der Regel versuche ich nicht darüber zu urteilen, warum jemand an der Straße sitzt, sondern mich lediglich auf den Jetzt-Zustand zu konzentrieren. Mehr weiß ich nämlich in dem Moment nicht. Und dieser Jetzt-Zustand erfordert in der Regel einfach nur Mitgefühl, Freundlichkeit und vielleicht etwas Geld.

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