Samstag, 24. Oktober 2015

Warum ich Asi-Teenager aus dem TV mag


Seien wir mal ehrlich: was empfinden wir Fernsehzuschauer, wenn wir gewisse Formate auf Privatsendern, die„von Asis für Asis“ produziert sind, sehen? Zumeist Verachtung, Ekel, Mitleid oder Überlegenheit . Der Reiz des downward comparison stellt eine große Verlockung dar, der man nahezu reflexhaft nachgibt.

Ich habe mit der Zeit festgestellt, dass ich gerne Sendungen über „gescheiterte“ Jugendliche des Prekariats schaue, die innerhalb von 4 Wochen von unseriös wirkenden Coaches wieder auf die richtige Bahn gebracht werden sollen (zu nennen wären beispielhaft „Die Mädchengang“, „Die strengsten Eltern der Welt“ und „Die Ausreißer“). Und zwar nicht (nur), um mich an der Ungebildetheit und Ungehobeltheit der dargestellten Figuren zu ergötzen. Überraschenderweise finde ich manche der jugendlichen Charaktere symphatisch. Warum das?




by Spiegel Online




Ich vermute, ich fühle mich trotz großer Unterschiede in Bezug auf Lebensstil und Einstellung mit ihrem gesellschaftlichen Außenseitertum verbunden. Mir gefällt ihre Verweigerung gegenüber bürgerlicher Ideale und Ziele, womit ich natürlich nicht die kriminellen und menschenverachtenden Aktionen meine, die von privaten Fernsehproduzenten mit Vergnügen herausgestellt werden. Ich meine ihre Fuck-it-Attitüde, die das esoterisch vielfach gepredigte „Leben im Moment“ umzusetzen hilft und die Last der Vergangenheit und die Angst vor der Zukunft lindert. Karriere, Fleiß, Ehrgeiz und Verzicht spielen eine untergeordnete Rolle und der Umgang mit Genüssen ist unverkrampft und reuelos. Im Sinusmodell würde man die Teenager wohl dem hedonistischen/ konsum-materialistischen Milieu zuordnen. 
 



by wn.com




Wer mir weitaus mehr auf die Nerven geht als die zugegebenermaßen rotzfrechen Asi-Kids: die ominösen Coaches/ Erzieher/ Autoritäten (ich mein, wie professionell sind Psychologen und Sozialpädagogen, die sich RTL-Formate hingeben?), die dauernd in mal bedrohlichen, mal eindringlichen, aber immer pathetischen Ton „Du verspielst deine Zukunft“ oder „Du musst dein Leben ändern“ sagen und damit klarstellen, dass nur der bürgerliche Lebensweg seligmachend ist und dem Dasein seinen Sinn verleiht.



Ich will hier nicht die kriminellen Handlungen, die die dargestellten Jugendlichen anscheinend begehen, relativieren. (obschon ich stark davon ausgehe, dass nur ein kleiner Teil davon tatsächlich passiert ist). Es tut einfach nur gut, NICHT so zu reagieren, wie es die Produzenten der genannten Formate mit ihren hanebüchenen Drehbüchern von mir erwarten. Ich soll die Mädchen und Jungs zum kotzen finden, ich soll sie als grässliche Monster wahrnehmen, die am Ende von den geduldigen Helfern wieder in echte Menschen verwandelt werden. Ich soll sie hassen und vielleicht auch ein bisschen Angst vor ihnen haben. Stattdessen MAG ich sie. Jedenfalls mehr als die Pimmelköpfe von Fernsehproduzenten .

Mittwoch, 21. Oktober 2015

Minigolf und der Glaube an sich selbst



preussischer Widerstand


Am  letzten Wochenende traf ich mich mit zwei Freundinnen zum Minigolf spielen. Wir wollten den letzten Sonnenschein nutzen und endlich nachholen, was wir im Sommer ständig verpasst hatten.
Außer, dass ich enthusiastisch auf- und abspringe und wie ein aufgeregtes Kind den Schläger schwinge, zeichne ich mich bei diesem „sportlichen“ Vergnügen durch keinerlei besondere Geschicklichkeit aus. Spiel und Spaß stehen im Vordergrund. Also wurde das Herbstlaub von der Bahn gefegt und munter drauf los geschlagen. Doch jedes Mal, kurz vor dem Abschlag, schoss mir immer derselbe Gedanke durch den Kopf: „Was, wenn du nicht richtig triffst?“ Schließlich schlug ich daneben und der Golfball prallte an den Hindernissen ab. Ich begann mich zu verkrampfen. Plötzlich stand ich mit zusammengekniffenen Augen und zusammengepressten Lippen da, den Schläger fest in der Hand und visierte das energisch Ziel an. Auf einmal war es gar nicht mehr so spaßig. Auf einigen Bahnen gelang mir schließlich auch, mit wenigen Schlägen einzulochen. Aber das war dem Glück geschuldet, so mein Gedanke.

Eine Freundin rief mir von hinten zu: „Du musst daran glauben, dass es klappt. Du musst an dich glauben.“ Diese Aussage brachte mich zum Nachdenken. Du musst an dich glauben. In der Regel kann ich wenig mit diesen im Imperativ hervorgebrachten Motivationssätzen anfangen. In unserer auf Selbstoptimierung fixierten Welt begleiten sie mich schon mein Leben lang. Jede zweitklassige Erfolgslektüre arbeitet mit diesem Satz. Aber wie soll mich ein Befehl zu Glück und Erfolg führen? Und was bedeutet überhaupt an sich selbst glauben? Was ist, wenn ich nicht an mich glauben kann? Was macht das dann mit mir?

Wie eigentlich jeder Glaubenssatz ist auch dieser vollkommen unzureichend formuliert. Darin verbirgt sich lediglich ein Appell, der im schlimmsten Fall nur Druck und Frust erzeugt, wenn es mit dem ‚an sich selbst Glauben‘ irgendwie nicht klappen will. Der Teufelskreis ist perfekt und schupps verbringt man einen ganzen Nachmittag mit Selbsthass, weil man nicht an sich selbst glaubt.

Das Kernproblem an dieser Geschichte ist, dass Zuversicht und Selbstvertrauen nicht dadurch entwickelt werden können, dass ein anderer dir den Befehl dazu gibt. Worte die von außen kommen, prallen in der Regel einfach an einem ab. Mir geht es jedenfalls so. Mein Verstand erfasst die Aussage, aber mein Herz ist oft noch lange nicht soweit.

Wenn du nicht an dich glaubst, dann tut es keiner. Dieser Satz klingt auf den ersten Blick überhaupt nicht motivierend, sondern eher beängstigend. Schließlich bedeutet er, dass die komplette Verantwortung für das Gelingen des eigenen Lebens auf den eigenen Schultern lastet. Hilfe! Das klingt anstrengend, in manchem Fall sogar lebensbedrohlich. Denn was ist, wenn ich es nicht schaffe an mich zu glauben und mein Leben dann völlig misslingt? Zeigen dann alle lachend mit dem Finger auf mich? Muss ich mich dann einfach noch mehr anstrengen und noch härter versuchen an mich zu glauben, damit am Ende keiner mit der selbstgerechten Binsenweisheit ankommt: Hättest du nur an dich geglaubt, dann wäre das nicht passiert.

Die Antwort darauf ist so banal, wie simpel. Es macht überhaupt keinen Unterschied, ob man an sich glaubt oder nicht. Ob etwas klappt kann man nämlich dadurch nicht immer beeinflussen. Begünstigen vielleicht. Vor dem Scheitern ist man dadurch aber noch lange nicht gefeit, da die meisten Dinge ja oft noch von tausend anderen Faktoren abhängen. Doch eins ist sicher, es fühlt sich besser an.

Deshalb machte ich folgenden Versuch. Vor jedem Abschlag beschloss ich nun ‚einfach‘ daran zu glauben, dass es klappt. Überraschenderweise erhöhte sich meine Trefferquote ein wenig, was aber auch daran liegen kann, dass ich durch den Spielverlauf einfach mehr an Übung gewonnen hatte. Who knows. Aber das spielte auch keine Rolle.
Zum Ende meines kleinen psychologischen Selbstversuches würde ich euch jetzt gern erzählen, dass ich, ganz hollywood-like einen triumphalen Sieg über meine Freundinnen errungen habe und ich mit meinem neugewonnenen Selbstvertrauen an Weltrettungsprojekten arbeite. Natürlich ist dem nicht so. Ich bin letzte geworden. Aber nur ganz knapp und irgendwie war’s auch egal. Es hat sich lediglich gut angefühlt die Dinge anders zu betrachten.

Freitag, 9. Oktober 2015

Hassliebe Düsseldorf

Düsseldorfer Stadtdenkmal - diese Stadt wurde auf Mord und Totschlag gebaut



Ich beobachte folgende Szene. Eine große Kreuzung, menschenleer. Gemächlich fährt ein älterer Herr mit seinem klapprigen Rad darüber. Langsam kommt ein Auto heran gefahren. Der Fahrer reckt sich nach vorn um besser sehen zu können. Plötzlich hupt er den Radfahrer aggressiv an. Bäm! Da ist die Stadt, wie ich sie täglich erlebe.

Düsseldorf entspann dich mal.


Seit ich hier wohne verbindet mich mit dieser Stadt vorallendingen eins: Eine grandiose Hassliebe. Wäre Düsseldorf ein Typ – meine Freundinnen hätten mir längst zu Trennung geraten. Diese Stadt ist so ziemlich das komplette Gegenteil von dem, wo ich vorher gewohnt habe. Zuerst auf dem Land, schließlich fast acht Jahre in Münster, wo Fahrradfahrer ein selbstverständlicher Teil des Straßenverkehrs und die Tatortkommissare Börne und Thiel unsere Regionalhelden waren.
Seit fünf Jahren wohne ich mittlerweile in Düsseldorf und kann mich nicht entscheiden, ob ich diese Stadt hasse oder liebe.
An manchen Tagen denke ich: Es gibt hier absolut nichts Schönes. Überall Baustellen, Junkies und aufgespritzte Lippen, die einen nackten Dackel an der Leine führen. Was mich besonders nervt, ist diese notgeile Fixierung auf Konsum. Am Samstag ist die Stadt brechend voll von Menschen, die unter einem Wochenendausflug ernsthaft eine Shoppingtour über die Königs Allee verstehen.
Irritierend finde ich dabei diese Extreme. Da hockt der Penner, übersät mit Krätzen am ganzen Körper, der vor Müdigkeit und Erschöpfung immer wieder nach vorne kippt und in letzter Sekunde rechtzeitig wieder aufwacht, bevor er mit dem Kopf auf den Asphalt knallt und neben ihm geht die vollkommen in schwarz verschleierte Araberin mit Prada-Handtasche am Arm auf dem Weg in den Chanel-Store, der für sie anschließend extra geschlossen wird, damit sie in Ruhe shoppen kann.
Gestern Nachmittag war ich in der Altstadt in einer Kirche, weil ich neugierig war, wie sie von innen aussieht. Dabei habe ich es mir zur Angewohnheit gemacht immer eine Kerze anzünden, egal ob jüdischer Tempel oder griechisch orthodoxe Kirche. Ich mag den kontemplativen Moment und die Besinnung auf das Gute im Leben. Voller Güte und Zufriedenheit im Herzen zünde ich mir also eine Kerze an und plötzlich höre ich hinter mir diese Worte: „Ist ja klar. Mal wieder das schlechte Gewissen beruhigen, wa?“ Ich drehe mich um. Da sitzt die alte Schrapnelle, neben so einem Renterrollköfferchen in der Kirchenbank, völlig verschleimt von der ganzen selbstgerechten Gehässigkeit. Wortlos gehe ich weiter und ernte zum Abschied ein hämisches Lachen.

Wieder denke ich nur: Düsseldorf entspann dich mal.






Doch Düsseldorf entschuldigt sich immer auf seine ganz eigene Weise bei mir, auch wenn es mir niemals verspricht, dass solche Dinge nie wieder vorkommen. Zum Beispiel mit einem Herren, der am Nachbartisch im Cafe sich verschluckt und seinen Milchkaffee seiner Gesprächspartnerin komplett ins Gesicht und überall sonst hin sprüht. Aber Spaß beiseite. Ich bin immer noch ganz angetan von der Vielfältigkeit dieser Stadt. Düsseldorf hat praktisch zu jedem Land einen eigenen Festtag. Japantag, Frankreichtag, Chinatag. Ich liebe jeden einzelnen von ihnen und besuche sie immer wieder gerne. Auch gibt es hier Theaterfeste und viele schöne Cafés. Mein Lieblingscafé, in dem ich ungefähr einmal die Woche zu finden bin, ist eine griechische Bäckerei im griechischen Viertel am Hauptbahnhof. In der Regel ist sie immer voll und bietet Kuchen, der zum Niederknien ist. Und die Griechen verstehen es mal wirklich sich nach der Arbeit zu entspannen.


Sonntag, 4. Oktober 2015

Krank vs. Pflicht



Kennt ihr das? Auf einmal wird man ständig mit einem bestimmten Thema konfrontiert. Es mag vielleicht am aktuellen Herbst liegen und dem damit erhöhten Ansteckungsrisiko für Grippe, Erkältung und co, aber ich habe mich die letzten Tage mehrfach mit Leuten darüber unterhalten, ab wann man sich auf der Arbeit krank melden darf.
Schockierenderweise erhielt ich auf diese Frage mehrheitlich nur eine Antwort: „Im Grunde gar nicht.“ Sofern man nicht gerade an Ebola oder MRSA dahinsiecht, ist Kranksein für viele Menschen in unserer Leistungsgesellschaft einfach eine Einstellungssache.
Ich bin praktisch so krank, wie meine Kollegen mir erlauben, krank zu sein. Also nicht ich entscheide, ob es mir schlecht geht, sondern andere. Sofort wird gehässig hinter dem Rücken des Mitarbeiters getuschelt, weil er sich wegen einer läppischen Erkältung gleich eine Woche krank gemeldet hat. Die faule Sau.
Mein häufiger Einwand, dass man selbst mit einer Erkältung eine komplette Grippewelle in der Firma auslösen kann, wird achselzuckend vom Tisch gefegt. Eine Erkältung ist schließlich keine Krankheit. Das Kollegenschwein markiert doch nur.
Aber es gibt nicht nur die Fraktion, die einfach neidisch auf den Büronachbarn ist, weil er mit 38 Grad Fieber heimlich zuhause eine Bazillenparty feiert, sondern auch noch die ganz Pflichtbewussten. Im Brustton der Überzeugung sagen sie, dass es ohnehin keine Alternative gibt, als zur Arbeit zu gehen. Egal wie es ihnen geht. Schließlich geht es um das Unternehmen und das Vaterland. Voller Stolz tragen sie dieses Licht von Pflichtbewusstsein vor sich her und schauen auf jeden herab, der mit laufender Nase nachhause geht. Dieser Einsatz wird spätestens dann honoriert, wenn sie tot vom Bürostuhl fallen und von der nächsten Putzfrau entsorgt werden.

In Zeiten, wo ich gearbeitet habe, führte ich um 6:00 Uhr morgens vor der Arbeit immer den gleichen inneren Dialog, wenn ich mich krank fühlte:

„Fühlst du dich jetzt wirklich krank genug? Wirklich? Vielleicht geht es ja im Laufe des Tages wieder weg. Aber du hast dich in der Nacht schon zweimal übergeben. Ja, aber wenn es dir im Laufe des Tages gut geht, dann bist du zu Unrecht zuhause geblieben. Dann reden die Kollegen wieder nach dem Motto: „Oh, sie hat wieder eine ‚Ein-Tages-Krankheit‘. Ist klar…“

In Zeiten, wo der Wegfall auch nur eines Kollegen oft schon den totalen Zusammenbruch aller Arbeitsabläufe bedeutet, finde ich es seltsam, dass die Ursache dafür beim kranken Mitarbeiter und nicht bei dem Unternehmen gesucht wird, das sich aus Einsparungsgründen weigert, genug Leute einzustellen. Wir sind so sehr dran gewöhnt, immer zu funktionieren und unserem Chef widerspruchslos zu Diensten zu sein, dass wir uns am Ende selbst belügen. Wir reden uns dann ein, es sei unsere Pflicht oder ein Zeichen von besonderer Kollegialität, wenn wir bis zum Umfallen durchhalten. Manche halten die Unterdrückung ihrer eigenen Bedürfnisse gar für eine besondere Form der Willensstärke und Disziplin, an der sich andere ein Beispiel nehmen sollten. Dabei wird es uns am Ende niemand danken.
Hierzu fällt mir ein schöner Spruch ein, den ich irgendwann einmal gelesen und seitdem niemals wieder vergessen habe:

„Wenn du auf dem Sterbebett liegst, wirst du nicht auf dein Leben zurückblicken und bedauern, dass du zu wenig Zeit im Büro verbracht hast.“

Ich hoffe, dass ich diesen Satz in Zukunft besser beherzigen werde.