Sonntag, 20. September 2015

#KunstundKonfetti: ein Abend mit MC Fitti


Du siehst mich auf jeder Vernissage- Du auf'm Fixie, ich auf'm Dixi- Alles scheiße, Kunst ist für'n Arsch. 

MC Fitti, "Fitti mit'm Bart"


Als hochintellektuelle und kulturell interessierte Artverwandte des Bildungsbürgertums konnten Preussischer Widerstand (PW) und ich (Pasota) uns nicht der gestrigen Eröffnung der Ausstellung "EGO UPDATE- Die Zukunft der digitalen Identität" im Düsseldorfer NRW-Forum entziehen. Ich-Bezogenheit, Narzissmus, Selbstdarstellung und Online-Persönlichkeit sind die Schlagwörter, auf die sich die Ausstellungsstücke beziehen. Passenderweise hatte man den hippen Gute-Laune-Rapper und selbsternannten "Selfie-Gott" MC Fitti geladen, der eine Bronzebüste seines Konterfeis mit einer Performance einweihte.

Wie ich den Auftritt fand und was PW in der Ausstellung und im Museumsshop gesehen hat, berichten wir euch folgend im Detail.


Der Auftritt


Die MC Fitti-Performance ist sehr exklusiv. Nur 70 Leute werden gegen Aufgeld zur Blackbox aka der Bühne im abgesperrten Ausstellungsraum zugelassen. Der Rest, zu dem PW, ich und unsere liebe Freundin gehören, drückt sich als Zaungäste im Foyer und Café herum, wo eine mittelgroße Leinwand die Geschehnisse im Inneren überträgt. Nach einer Verspätung von 15 Minuten, in denen die Zuschauerschaft hypnotisiert auf einen Bildschirmschoner in ironischer Windows 95-Vaporwave-Optik stiert, geht es los. Der 'Selfie-Gott' stürmt in seinem typischen signaturelook (Cap + Sonnenbrille + Bart + Grinsefresse) in den knallbunten Holzverschlag und startet mit seiner Hipsterhymne „Yolo“. Der Sound ist miserabel, das Mikro zu leise, der Bass zu laut, die Akustik der Backsteinvorhalle verzerrt alles zu einem undefinierbaren Discogelärme. Der Rapper legt jedoch, begleitet von einer tanzenden Plüschmaus, eine energetische Performance hin und schafft es, das mitunter steife und vergeistigte Kunstpublikum zum wippen und lächeln hinzureißen. Direkt vor PW's und meinen Augen tut sich ein absurdes Bild auf: ein asiatischer Kunstsammlertyp älteren Semesters, ganz in schwarz gekleidet, mit Hut, runder Sonnenbrille und Lederstiefelletten, genießt zu seinem teuren Abendessen mit Weißwein die trashige Darbietung und lässt es sich nicht nehmen, verzückt ein paar Filmaufnahmen mit seinem Smartphone zu machen. Ich denke darüber nach, wie schwer es mir fällt, MC Fittis Zielgruppe einzugrenzen. PW hingegen träumt von dem Bratwürstchen, das der Asiate auf seinem Teller hat. Plötzlich knallt ein Konfettiregen als Höhepunkt und Finale auf uns herab. Nach nur 5 Songs, darunter sein bekanntester Hit „Whatsapper“, „Fitti mit'm Bart“, „Geilon“ und „30 Grad“, endet die Show und Fitti kann seiner Lieblingsaufgabe nachgehen: Selfies mit seinen zahlreichen großen und kleinen Fans machen und eine nice Stimmung verbreiten.


Hurra! Konfetti!



Die Gadgets - Museumsshop


Nachdem im Foyer etwas Ruhe eingekehrt ist, drücken wir uns für eine Weile im Museumsshop herum. Wir wollen schließlich sehen, mit welchen Gadgets wir unser eigenes perfektes Selfie kreieren können. Neben ‚Do-it-Yourselfie-Guides‘, wo für den geneigten Egomanen in zahlreichen Bildern beschrieben wird, wie er sich drehen und verbiegen muss, um das Beste aus seinem Ich herauszuholen, finden sich auch lustige Verkleidungen für Babys (man kann ja mit der Selbstinszenierung schließlich nie früh genug anfangen) und Selfie-Sticks von geschätzten 8 Metern Länge. Anschließend gibt jeder sein Best-of  an Geschichten von Selfieunfällen, die jeder für sich den Darwin-Preis verdient hätten. Ich sag nur Selfie in der Achterbahn.


Big Dislike übrigens für diese Stempel. Obwohl vielleicht sollte man die auf der Behörde einführen. Ich habe da so Ideen fürs Jobcenter oder das Bundesamt für Flüchtlinge. Ironie off.


Die Ausstellung


Gleich im ersten Ausstellungsraum werden wir mit Selfies konfrontiert, die in ihrer Darstellung so banal und doch in ihrer Anordnung auch irgendwie faszinierend auf mich wirken. Gähnende Menschen. Plötzlich beginne ich zu erahnen, wie viel Milliarden an Fotomaterial sich im World-Wide-Web befinden muss. Diese Sehnsucht der Menschen jeden Moment unsterblich zu machen, sich als etwas besonders zu fühlen, sich wie auch immer auszudrücken, erschlägt mich fast ein bisschen. 

Mein preussisches Gehirn beginnt wieder herum zu philosophieren: Ist das die Angst vor dem Verfall und dem Tod, die uns ständig antreibt, uns so auf diese Weise zu produzieren? Schließlich gab es zu jeder Zeit und in jeder Epoche Selbstportraits. Nur, dass im Mittelalter natürlich nicht jeder dazu fähig war, sich selbst zu zeichnen. Daher haben wir auch nur die großen Meister wie Dürer, Van Gogh oder Rembrandt auf die Leinwand gebannt. Würden sie, wenn sie heute lebten, auch lieber „künstlerische“ Selfies von sich machen? Schließlich ist das so viel einfacher. 



Heaven is a halfpipe. So zeigt sich das nächste Kunstobjekt von Erik Kessels mit dem Titel „My Feet“. Mein Dangermouse-Herz schlägt höher als ich feststelle, dass es sich hier um Erlebniskunst handelt. Ich bin kein Freund davon, mir Kunst nur pseudointellektuell aus der Distanz anzugucken. Die Halfpipe kann über eine Treppe bestiegen werden. Während Pasota noch ein wenig mit ihrer Höhenangst hadert, die sie dann aber tapfer besiegt, schaue ich mir schon mal genauer an, was hier in unzähligen Bildchen abgebildet ist. Füße. Füße in Schuhen, Socken, Zehen im Sand und auch einige Füße, bei deren Betrachtung wir uns einig sind, dass derjenige damit dringend zum Arzt sollte. Warum fotografieren wir uns Stinkemauken? Ich gebe ehrlich zu, dass ich es selbst auch schon einige Male getan habe, was unter anderem die Fotos oben beweisen.


Besonders beeindruckend finden wir unter anderem eine Bilderserie von dem britischen Fotograf und Videokünstler Robbie Cooper. Er thematisiert das ‚Alter Ego‘. Dabei hat er Gamer neben ihren Avataren abgebildet. Man könnte ja meinen, dass die Avatare und ihr Erschaffer, wie bei unserem milchgesichtigen Jungen hier, sich völlig unähnlich sind, doch ich war erstaunt, wie ähnlich manche Onlinespieler ihren Figuren im Netz sahen. Nicht alle nutzen ihre Phantasie, um in eine wirklich ganz neue Rolle zu schlüpfen. Ich denke, dieses Thema hätte sogar eine eigene Ausstellung verdient.



Das Beste habe ich mir natürlich bis zum Schluss aufgehoben. Die Ausstellung hört nämlich nicht in den Toilettenräumen auf. Wie auf der Kirmes, wo man seinen Kopf durch eine mit einer fetten, bärtigen Frau bemalten Bretterwand stecken kann, waren hier die Spiegel mit sogenannten Selfie Templates abgeklebt. Sich beim Händewaschen lesbischen Fantasien hinzugeben ist schon interessant. Leider war unsere liebe Freundin etwas zu klein, um ihr Gesicht in der Spiegelfläche ansehen zu können. Aber was wäre das Selfie, ohne die ganzen Legionen der Instagram-Babes, die rund um die Uhr für Männerfantasien verfügbar sind? Wie es wohl auf der Herrentoilette aussieht?!

Für alle Interessierten: Die Ausstellung geht noch bis zum 17.01.2016

alle Fotos by preussischer Widerstand

3 Kommentare:

  1. promenadenmischung21. September 2015 um 18:45

    »Mein preussisches Gehirn beginnt wieder herum zu philosophieren: Ist das die Angst vor dem Verfall und dem Tod, die uns ständig antreibt, uns so auf diese Weise zu produzieren?«

    Ist nicht jedes Selfie ein Dokument des Verfalls und des Todes – unseres Intellektes und unserer Kultur?

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    1. Nicht doch so kulturpessimistisch ;) Aber ich geb dir Recht. Dieser Selfie-Wahn befremdet mich auch.

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  2. Interessante Ausstellung! Leider wohne ich nicht in NRW.

    Der Selfie-Wahn und die Like-Jagd auf Facebook zeigen gut auf, in welchem Narzissmus viele Menschen gefangen sind. Abhängig von der Bestätigung anderer, leben sie an der infantilen Oberfläche und sind unfähig und/oder nicht willens auch nur einmal dorthin zu tauchen, wo sich innere Ruhe und Selbstzufriedenheit entwickeln kann.

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