GRAZIA, Nr. 40, September 2015
Kunstwerk (S. 13): eine 08/15-Jeans im Used-Look für 260 € wird als "Kunstwerk" bezeichnet. Wusste ich gar nicht, dass überteuerte Konsumartikel, die sich dem Mainstream-Geschmack anbiedern, jetzt als Kunst gelten.
Magersucht (S. 16f, S. 60ff): in Zuge eines investigativen Reports wird Victoria Beckham scharf dafür verurteilt, dass sie bei ihren Fashionshows nur ultradünne Mädchen laufen lässt, die sie angeblich dadurch in die Magersucht treibt. Dass nicht VB persönlich, sondern die komplette Modeszene und die Gesellschaft im Allgemeinen das dünne Schönheitsideal abfeiern und Frauen massiv unter Druck setzen, wird komplett ignoriert. Janusköpfig, wie jede andere Frauenzeitschrift auch, untergräbt GRAZIA ein paar Seiten weiter ihre heuchlerische Moralpredigt über Verantwortungsbewusstsein mit einer Modestrecke, die von einem Skelettmodel präsentiert wird.
Nazi (S. 20): Angelina Jolie's Messersammlung für Sexspiele ist ok, sagt die Redaktion. Aber dass Brad Pitt sich jetzt ein antiquiertes Motorrad aus dem Zweiten Weltkrieg gekauft hat, ist voll uncool. (Implizit: wen Artefakte des Zweiten Weltkriegs faszinieren, kann ja nur den Nationalsozialismus gut finden.)
Ryan Gosling (S. 22f): es wird gemutmaßt, dass Ryan sich von seiner Ehefrau Eva Mendes getrennt hat. Diese Vermutung basiert auf dem äußerst aussagekräftigen Indiz, dass Mendes letztens ein Interview gab, in dem sie -ach du Schreck!- kein einziges Wort über ihren Mann verlor. Die Schrapnells von GRAZIA können sich anscheinend gar nicht vorstellen, dass man auch als liierte Frau ein eigenständiges Leben führen kann.
Band-T-Shirts (S. 24): die Leserinnen sollen sich flott ein paar "authentische" Band-T-Shirts von Slipknot, Van Halen und Konsorten bei H&M holen. Man muss schließlich den richtigen Look geshoppt haben, wenn man headbangen geht. Als Starbucks-verehrende GRAZIA-Leserin.
Transgender (S. 32): Shiloh, die Tochter von Brad und Angelina, ist vermutlich ein Mensch mit Transgender, weil sie gern kurze Haare trägt, mit Jungs spielt und den Namen "John" spitze findet. Okeydokey.
Dislike-Button (S. 36): GRAZIA fände einen Dislike-Button bei Facebook totaaal doof. Es gibt doch schon viel zu viel Hass im Internet. Lieber Peace, Love und Harmony! Kollektives Kuscheln statt Kritisieren erwünscht.
Cara Delevigne (S. 38 f): das britische Model steht angeblich kurz vor dem Karriere-Aus, weil sie es gewagt hat, ihren Arbeitgeber Modeindustrie zu kritisieren: Modeln sei hohl und hätte ihre Seele aufgefressen. Die Zeitschrift findet, dass sie natürlich selbst Schuld ist, wenn sie nun nicht mehr gebucht wird. Hätte sie mal lieber ihre große, freche Klappe gehalten und brav und ergeben mitgemacht.
Health Food (S. 54 f): eine superbusy Karrierefrau ist körperlich abgeschlagen und erschöpft. Ihre Lösung ist eine "gesündere" Art der Ernährung, welche so einseitig ist, dass sie ins Krankenhaus muss. Natürlich wird in dem Artikel an keiner Stelle das zugrundeliegende Problem benannt: die Frau lässt sich von der ewigen Tretmühle namens Karriere kaputt machen und doktert durch Veränderung der Ess- und Schlafgewohnheiten an den Erschöpfungssymptomen herum, anstatt an der Quelle des Leids zu arbeiten.
Beziehung (S. 58 f): die Story einer im Kern unselbstständigen und hilflosen Endzwanzigerin, die ihren noch willigen Ex seit Monaten ohne schlechtes Gewissen ausnutzt. Er streicht ihre Wohnung, leiht ihr viel Geld, kutschiert sie umher und stellt dabei seine Bedürfnisse komplett zurück. Zwei beschissene Botschaften werden hier vermittelt: 1. Männer müssen Frauen jeden Wunsch von den Lippen ablesen, damit sie überhaupt den Hauch einer Chance bei ihnen haben. 2. Es ist natürlich und vollkommen ok, als Frau des 21. Jahrhunderts von der Hilfe eines Mannes so abhängig zu sein, dass man ohne ihn den Alltag nicht mehr gebacken bekommt.