Samstag, 28. März 2015

You’re not perfect. And that is perfectly fine



Jetzt mal Hand aufs Herz. Machst du gerne Fehler? Nein?! Ich auch nicht. Aber warum eigentlich nicht? Was ist so schlimm an Fehlern? In der Schule haben die anderen Mitschüler getuschelt, wenn wir uns verlesen oder verrechnet haben. An der Tafel sind wir rot angelaufen, weil wir fürchteten, dass die Inhalte in unserem Referat falsch sein könnten. Nicht das jemand unangenehme Fragen stellt. Eltern und Lehrer haben uns ständig korrigiert, in den Dingen, die wir angeblich nicht können. Später gab‘s vom Chef einen auf den Deckel und die Kollegen verdrehten die Augen, weil wir ein paar Zahlen in ein Formular falsch eingegeben haben. Das geht eigentlich das ganze Leben so weiter. Manchmal höre ich Sprüche von Fremden und auch Freunden, wie etwa: „Was?! Das weißt du nicht? Das solltest du aber wissen.“ Und wer legt das fest? Wer legt fest, was ich zu wissen und zu können habe? Du etwa?
Die Erwartungen der anderen engen uns ein. Manchmal kann es sogar so schlimm werden, dass sie uns völlig handlungsunfähig machen. Nicht wenige Menschen empfinden die Angst vor dem Scheitern. Da wollen wir uns vielleicht beruflich umorientieren oder eine Weltreise machen. Doch wir zögern lange und mögen uns nicht recht entschließen. Ein fernes Echo aus vergangenen Zeiten dringt zu uns vor. „Das ist doch alles viel zu schwer. Wenn du scheiterst, dann sag nicht, ich hätte es dir nicht gesagt.“ Entscheidungen, die bei näherer Betrachtung gar keine so weitreichenden Konsequenzen haben, werden durch die Möglichkeit des Scheiterns stark aufgeladen.

Unserer Gesellschaft hat das Spielerische verloren, wenn sie es denn je gehabt hat.

Besonders gut kann man dies bei Unternehmensgründern beobachten, die mit ihrem Geschäft gescheitert sind. Anstatt in ihnen das Potential einer gereiften Persönlichkeit zu sehen, die aus ihren Fehlern gelernt hat, werden sie von Arbeitgebern einfach als Loser abgestempelt, die es nicht geschafft haben. Entweder du schaffst es auf Anhieb erfolgreich zu sein oder Gnade dir Gott – oder so ähnlich.
Viele flippen sofort aus oder werden nervös, wenn andere Fehler machen. Unsere Gesellschaft ist oft geradezu panisch in ihren Präventionsmaßnahmen, nur um Fehler zu verhindern. Unglücklicherweise führt dieser Mangel an Gelassenheit und Flexibilität häufig genau zum Gegenteil. Ärzte vertuschen ihre Kunstfehler und Ingenieure verschweigen den Konstruktionsfehler der neuen Autobahnbrücke bis auch das letzte Auto in den Fluss gestürzt ist. Gerade im beruflichen Bereich werden wir regelrecht zum Vertuschen und Lügen angestiftet, nur um den allgemeinen Schein, man sei ein fehlerloser Mitarbeiter aufrecht zu erhalten.
Eine meiner Lieblingsgeschichten zum Thema Fehler und Scheitern ist die von Thomas Edison. Als fleißiger und emsiger Erfinder versuchte er sich an vielen Dingen. Er hat die Glühbirne zwar nicht ganz als erster erfunden, wie ich lange glaubte, aber das spielt ja auch keine Rolle. Was mich beeindruckt, ist, dass er unbeirrt versucht hat, die Glühbirne so zu perfektionieren, dass sie schließlich zu einem unverzichtbaren Gegenstand in jedem elektrifizierten Haushalt wurde. Er testete weit über 1000 Materialien, um den passenden Glühfaden zu finden und ohne zu wissen, ob es ihm gelingen wird. Von ihm stammt auch der wunderbare Satz:

„Ich bin in meiner Karriere nie gescheitert. Ich habe nur 10 000 Wege gefunden, die nicht funktionierten.“

Wir übersehen nur zu gerne, dass die Helden, die wir für ihre Erfolge feiern oft einen langen, steinigen und ziemlich frustrierenden Weg hinter sich haben. Wir wollen nur die strahlende Rüstung sehen und nicht die ganzen Blessuren und Zweifel, die sich dahinter verbergen.
Dabei führt die Akzeptanz von Fehlern zu mehr Gelassenheit und damit auch zu weniger Fehlern. So paradox ist das Leben eben. Oder hast du schon mal ein Baby gesehen, dass nicht laufen lernen wollte, weil es Angst hatte hinzufallen? Spielen, Ausprobieren, immer wieder neu versuchen, all dies führt nicht nur zu kreativen Lösungen für ein Problem, nein, es schafft auch ein ganz neues Miteinander. Kinder, Jugendliche oder auch junge Erwachsene können nicht lernen oder zu verantwortungsvollen und weitsichtigen Erwachsenen heranreifen, wenn sie keine Fehler machen dürfen.
Mein Freund erzählte mir von einem Schmetterling, der, wenn man ihm dabei helfen würde sich aus seinem Kokon zu befreien, sterben würde. Ihm würden dann die Muskeln fehlen, die er sich bei dem anstrengenden Kraftakt, sich heraus zu arbeiten aufgebaut hätte. Somit kann er nicht fliegen und damit auch nicht auf Futtersuche gehen. Ein schreckliches Schicksal in der guten Absicht ihn vor dem Scheitern zu bewahren.
Interessanterweise haben wir so manchem Fehler sogar die größten Errungenschaften zu verdanken. Man denke nur an die Entdeckung des Penicillins. Was wäre gewesen, wenn Alexander Fleming gedacht hätte:  „Boah, bin ich blöd. Jetzt hab ich die ganzen verschimmelten Bakterienkulturen hier rum stehen lassen. Die wasche ich jetzt mal schnell ab, bevor jemand merkt, dass ich diesen Fehler gemacht habe.“ Eben.
Da mein Freund nicht nur klug, sondern auch ein wandelndes Sprichwörter- und Zitatenlexikon ist, erfreut er mich auch gerne mit folgendem Zitat, mit welchem ich meinen geneigten Leser in den Abend entlasse:

„Ein Experte ist jemand, der auf einem Spezialgebiet alle denkbaren Fehler bereits gemacht hat.“ Niels Bohr, Nobelpreisträger für Physik

Sonntag, 22. März 2015

Faulheit gibt es nicht


Faulheit ist die Todsünde Nummer 1 in der westlichen Welt.

Wer faul ist, hat Schlechtes verdient. Wer faul ist, ist ein Schmarotzer. Wer faul ist, kennt keine Moral und Sitte. Wer faul ist, gefährdet Wohlstand und Wachstum. Wer faul ist, verhöhnt die Gemeinschaft der fleißigen Arbeitnehmer. Wer faul ist, der setzt seine Daseinsberechtigung auf's Spiel.

Der (vermeintliche) Gegensatz 'fleißig vs. faul' scheint, zumindest in der kapitalistisch-neoliberal geprägten Gesellschaft, in seiner Signifikanz die uralte Unterteilung 'gut vs. böse' mittlerweile fast eingeholt zu haben. Oder besser gesagt: fast ersetzt. Denn Fleiß wird de facto als das Gute schlechthin angesehen und Faulheit als böse, lasterhafte Versuchung, der man nur selten nachgeben darf (wenn, dann höchstens in klar abgesteckten und fremdbestimmten Zeiträumen wie Wochenende, Urlaub, Feiertage).

Es lohnt sich, sich die generellen Fragen zu stellen:
Was soll der Begriff "Faulheit" eigentlich ausdrücken? Gibt es überhaupt "die Faulheit" per se?

Als "faul" wird meist Jemand bezeichnet, der körperlich inaktiv/ träge ist und keine Lust darauf hat, Ziele und Aufgaben zu erfüllen, die ein Anderer als sinnvoll und notwendig erachtet. Oft handelt es sich dabei um relativ banale Alltagstätigkeiten wie Haushaltspflege, Hausaufgaben, Erledigungen usw. Es kann sich aber auch auf grundsätzlichere Punkte wie Erwerbsarbeit oder langfristige Arbeit an der eigenen Gesundheit beziehen.

Der "Andere", der die Position des Mahnenden, Wissenden und Fürsorglichen einnimmt, wird irgendwann ungeduldig und ärgerlich, weil der "Faule" sich nicht nach den Ansprüchen des Anderen richtet, welche er selbst für vollkommen gerechtfertigt und richtig hält. Dabei handelt der Faule einfach nach seinen eigenen, momentanen Wertmaßstäben, die teilweise massiv davon abweichen, was der Großteil der (bürgerlichen) Mitmenschen für wichtig und erstrebenswert hält. Wie zum Beispiel das Erkämpfen einer hohen Position im Job, der Erwerb eines Führerscheins, wöchentlich Großputz machen oder der tägliche Gebrauch von Zahnseide. 

Nur weil der Faule in diesen Aspekten wenig Ambitionen zeigt, heißt das nicht, das er zwangsweise eine "faule Sau" ist und dass er seine Energie nicht leidenschaftlich in ganz andere Bereiche steckt (beispielsweise in: aus dem Fenster gucken, rauchen, lesen, Kaffee trinken, Kronkorken sammeln, Obdachlose bekochen, an die Decke starren, Go-Kart fahren).

Deshalb habe ich ein Problem mit dem Begriff "Faulheit": wenn Jemand "faul" ist, setzt er schlichtweg andere Prioritäten. Er erachtet andere Sachen als wichtiger und grenzt sich bewusst von den Erwartungen Anderer ab. Er leistet passiven Widerstand. Er entscheidet selbst, was in diesem Augenblick gut für ihn ist. 

Und das wiederum steht bei mir ganz oben in der Werteskala.


Mittwoch, 18. März 2015

Die Gebrüder Aldi – Ein Dienstleistungsmärchen


Neulich Nacht konnte ich nicht schlafen. Fragen trieben mich um. Werde ich je einen Job finden, der zu mir passt, mit einigermaßen fairer Bezahlung, von der man leben kann? Irgendwann schaltete ich den Fernseher ein, um mich von diesen Gedanken abzulenken. Während ich mich durch die Sender zappte, immer in der Erwartung entweder trashige Horrorfilme oder Werbung für Sexhotlines zu sehen, blieb ich schließlich an einer Doku über die Aldibrüder hängen. Schwarz-Weiß-Fotos von Männern in adretten Anzügen und Filmausschnitte aus den 50ziger, 60ziger Jahren rauschten an meinen verschlafenen Augen vorbei. Erzählt wurde die Geschichte von Karl und Theo Albrecht und ihrem unglaublichen Aufstieg in der Nachkriegszeit. Diese kapitalistischen Fürsten haben Deutschland unter sich aufgeteilt mit einer Selbstverständlichkeit, zu der ich lange keine besondere Meinung hatte, weil ich mit Aldi einfach aufgewachsen bin.


Meine mittlerweile verstorbene Großtante wäre niemals bei Aldi einkaufen gegangen. Aldi, das war für sie ein Laden, in dem nur die Armen einkaufen gingen. Selbst wenn sie es nötig gehabt hätte, hätte sie sich dieser Schande trotzdem nicht ausgesetzt. Lange habe ich gar nicht verstanden, weshalb es ihr so zuwider war.
Aber die Umstellung vom kleinen, gemütlichen Stubenladen mit vielen Verkäuferinnen, hin zu, mit kalten Neonröhren beleuchteten großräumigen Discountern mit zwei verloren wirkenden Kassiererinnen muss auch eine ziemliche Umstellung für die Leute gewesen sein. Eine nette Unterhaltung mit der Verkäuferin war ja nun nicht mehr möglich. Die Effizienz und der totale Konsum hatten Einzug gehalten.
Mir kam ein Erlebnis in den Sinn, dass ich selbst einmal bei Aldi gehabt habe. Ich hatte einen etwas größeren Lebensmitteleinkauf gemacht und stand an der Kasse. Aldi liegt bei mir die Straße runter. Ich laufe bloß ein paar Schritte dort hin. Daher lohnt es sich für mich auch nicht, einen Einkaufswagen zu benutzten. Schließlich kann ich nur das mitnehmen, was in meine Stoffbeutel passt. Ein Einkaufswagen würde mich nur unnötig dazu verführen, mehr mitzunehmen, als ich tragen kann.
Mit rücksichtsloser Geschwindigkeit zog der Kassierer meine Waren über den Scanner. Ich versuchte mich wirklich zu beeilen. Hilflos stopfte ich meine Sachen in die zwei Beutel. Aber ich kam kaum hinterher. Auf der winzigen Fläche hinter der Kasse türmten sich immer mehr Waren. Ich fühlte mich wie Charlie Chaplin in Modern Times.
Ich war natürlich noch nicht fertig, als der Verkäufer mir bereits den Preis nannte. Hastig versuchte ich noch die letzten 3 Teile einzupacken, damit ich dem Kunden nach mir nicht weiter im Weg stand. Offensichtlich dauerte dies dem Kassierer zu lange und er sagte ziemlich bevormundend zu mir: „Nehmen sie bei ihrem nächsten Einkauf bei uns bitte doch einen Wagen. Sie lassen die Kunden hinter ihnen jetzt unnötig warten.“ Mein Kopf wurde rot. Schamerfüllt blickte ich die lange Schlange an Kunden hinter mir an, die ja wegen mir jetzt warten mussten. Dies war mein erster Impuls. Doch plötzlich machte es in meinem Kopf klick.
Die ganze Zeit hatte ich überlegt, wie ich schnell und effektiv die Waren in meinen Beutel stopfen konnte, um auf die anderen Leute Rücksicht zu nehmen und niemanden zu verärgern. So wird man von diesem System von Kindesbeinen an automatisch erzogen. Und nun unterstellte mir dieser Typ, ich würde mich nicht genug beeilen und diesem ganzen Effizienzgedanken im Wege stehen? Plötzlich wurde ich wütend. Der Platz hinter den Kassen ist bei Aldi extra so kurz, bzw. ohne ein langes Abrollband, wie in manch anderen Läden, um eine höhere Kundenfrequenz zu erreichen. Wäre solch ein Band vorhanden, könnte ich in Ruhe meine Ware einpacken und müsste mich nicht jedes Mal so abhetzen.
Aldi geht es ja nicht darum, dass sich der Kunde wohlfühlt. Schließlich wiederspricht dies dem ganzen Konzept eines Discounters. Der Kunde soll schnell einkaufen und dann wieder verschwinden. Das fehlende Abrollband nach der Kasse symbolisiert gewissermaßen den Fußtritt, mit dem der Käufer hinausbefördert wird, nachdem man ihm das Geld abgeknöpft hat.
Du darfst konsumieren, aber bitte schnell und anschließend spuckt dich der große Laden wieder auf die Straße. Der Verkäufer verwies mich anschließend noch auf das angebliche Schild am Eingang, wo darauf hingewiesen würde, dass jeder Kunde dazu angehalten sei, sich doch bitte einen Einkaufswagen zu nehmen.
Aldi hat dazu beigetragen, dass unsere Welt so schnelllebig und gehetzt geworden ist. Ebenso hat er unser Verständnis davon geprägt, welchen Wert wir Dingen beimessen und dieser ist teilweise nicht mehr besonders hoch. Wir kaufen dort ja nicht nur billige Lebensmittel, sondern auch Non-Food-Artikel. All dies muss auch jemand produzieren. Damit wir gestresst nach dem Feierabend noch schnell günstig einen Laptop und einen Fertigsalat besorgen können, werden woanders auf der Welt Menschen ausgebeutet und die Umwelt zerstört.
Auf meinem Fernsehbildschirm flimmerte das Foto von zwei irgendwie verschrobenen Männern in billigen Anzügen. Krämerseelen, die das Bewusstsein einer ganzen Gesellschaft in einem Maße geprägt haben, wie ich es mir in die umgekehrte Richtung auch einmal wünschen würde.

Dienstag, 10. März 2015

Kunst als ultimative Utopie


Jonathan Meese würde unseren Blog hassen: die Inhalte strotzen nur so von Ideologien, Geschmäcklertum und Meinungsfanatismus. Und das lehnt der Hamburger Künstler vehement und konsequent ab. 

Meese sieht für die Gesellschaft der Menschen nur noch einen Weg: die Abschaffung aller Ideologien und vorallendingen der Menschenmacht. Konkret heißt das die Abschaffung aller politischen Systeme, wirklicher Aller, von der Diktatur, über Anarchie, Monarchie bis hin zur Demokratie. Der Mensch soll von sich und seinem individuellen Selbstverwirklichungsbestreben absehen, sich demnach nicht mehr zum Zentrum der Welt machen und in Eintracht mit Tier und Natur der Kunst dienen. Nicht dem Künstler als Person, wohlgemerkt. 

Für Meese lautet die einzig funktionierende und lohnenswerte Alternative die Diktatur der Kunst. Wobei der Begriff "Diktatur" hier nicht die Alleinherrschaft eines Menschen meint, sondern versachlichte Führung. Also die Herrschaft der Evolution und der Dinge, die notwendig sind und deshalb passieren müssen (beispielsweise der Stoffwechsel eines jeden Lebewesens, der nicht "wählbar" ist und unabhängig von jeder Ideologie funktioniert).

Ein für alle Mal soll das jahrtausend alte Prinzip der Regierung durch Menschenhand abgeschafft werden, das zuviel Leid, Zwietracht, Selbstsucht und Entfremdung von dem, was wesentlich ist (nämlich der Kunst), erzeugt habe. 

Nach Meese darf es zukünftig keine Religionen, Vereine, Parteien, Sekten und Interessensgemeinschaften mehr geben, denn diese manifestieren den Ideologiewahnsinn, der egal ob linkspolitisch, rechtspolitisch, katholisch oder esoterisch, jeden Einzelnen zum Kleinstdiktator mache, der Unfrieden in der Welt stiftet. 

Wenn Jonathan Meese diese Gedanken in der Öffentlichkeit äußert, dann ist er immer gleich der Spinner, Poser, Idiot, Provokateur, Träumer. Er wird abgeurteilt, verhöhnt, manch einer fühlt sich ihm überlegen, weil er Ideen formuliert, die viel zu radikal, exorbitant und umwälzerisch für den Alltagshorizont vieler Durchschnittsmenschen sind. 

Natürlich handelt es sich bei der Diktatur der Kunst um eine Utopie. Aber Utopien können sich letztendlich nur realisieren, wenn man sich ihnen nicht in den Weg stellt. Und ich glaube, es wäre fatal, wenn man diesem so revolutionären Gesellschaftsentwurf von Vornherein eine Absage erteilen würde. 

Deswegen fände ich es schön, wenn sich mehr Leute vorurteilsfrei an das Thema heranwagen würden. Hier ein Interview mit dem Künstler, der erklärt, warum er generell mit politischen Systemen nichts zutun haben will:




Zu intelligent für die Arbeitswelt – Geschichten aus dem Jobcenter II



Die Beziehung zwischen dem Arbeitslosen – äh Arbeitssuchenden und seinem Arbeitsvermittler ist, wie soll ich es möglichst diplomatisch ausdrücken, häufig von einigen Spannungen geprägt.
In meinem bisherigen Leben hatte ich immer wieder mit Jobcoaches oder Arbeitsvermittlern zu tun. Spätestens nach dem ersten Schulabschluss, allerspätestens nach der Ausbildung oder dem Studium bekommt man sie zu Gesicht. In der Regel geht die Angst im Volke vor ihnen rum. Manche Geschichten über sie sind geradezu legendär.
Natürlich sind es auch nur Menschen, die teilweise genauso mit diesem absurden System und seinen noch absurderen Vorgaben zu kämpfen haben, wie die Arbeitslosen, denen sie diese Maßnahmen aufzwingen wollen.
Ich habe mir von Arbeitsvermittlern schon vieles vorwerfen lassen müssen. Von Aussagen, wieso ich nicht bessere Abschlussnoten hätte, bis zu dem Vorwurf, ich sei einfach nicht kooperativ, weil ich vor lauter Angst nichts mehr sagen mochte, war irgendwie schon alles dabei.
Mit achtzehn ging ich wirklich noch in dem festen Glauben zu solchen Gesprächen, man wolle mir helfen. Haaaahaaahaaa. Aber Spaß bei Seite. Jetzt, mit 32 bin ich froh, wenn alles so neutral wie möglich abläuft. Wenn sie einfach freundlich sind, reicht mir das schon völlig.
Mittlerweile habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass es einige Arbeitsvermittler ganz gut mit einem meinen. Dennoch sind die Grenzen hinsichtlich ihrer Möglichkeiten oft ziemlich schnell erreicht.
In der Regel wechselt man ja alle paar Monate den Arbeitsvermittler. Weshalb das so ist, ist mir schleierhaft. Vielleicht ist die Gefahr zu groß, dass man sich aneinander gewöhnen, sich verbrüdert und der Arbeitslose plötzlich ein menschliches Gesicht bekommen könnte. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Das bedeutet natürlich auch, dass man die Geschichte seines Misserfolgs immer und immer wieder neu erzählen muss. Eine besonders beliebte Frage dabei lautet:

Was glauben sie, woran es liegt, dass sie arbeitslos sind.

Was soll man da antworten? Vielleicht so was wie:

„Weil ich zu blöd bin?“

Oder:

„Weil die Arbeitgeber borniert und blöd sind und mein Potential nicht erkennen?“

Manchmal kommen mir auch so lustige Gedanken, wie:

„Weil ich keine Arbeit gefunden habe.“

Oder:

„Ich habe keine Lust zum Arbeiten und möchte dem Staat unbedingt auf der Tasche liegen. Macht doch Spaß, sich jeden Monat auf dem Amt aufs Neue demütigen zu lassen. Bäm!! Du gehörst nicht zur Gesellschaft.“

Nun ja. In einem Gespräch mit einer Arbeitsvermittlerin habe ich mich dafür entschieden, den Grund in meiner Studienwahl zu vermuten. Geisteswissenschaftler werden eben nicht wie Sand am Meer gesucht. Im Grunde glaube ich sogar, dass dies vielen Arbeitgebern suspekt ist.
Darauf antwortete mir die Dame etwas, womit ich im Leben nicht gerechnet hätte:
Frau Preussischer Wiederstand, wissen sie, was ich glaube? Arbeitgeber wollen keine kritisch denkenden Menschen. Die befürchten, dass sie sich nicht richtig unterordnen können. Verzeihen sie mir den Ausdruck, aber sie sind denen wahrscheinlich schlicht zu intelligent.“

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Via Pinterest
Das hat mich schier aus den Socken gehauen. Revolution im öffentlichen Dienst. Alarmsirenen. Bitte ergreifen sie diese Arbeitsvermittlerin. Sie hat die Wahrheit gesagt.
Da saß kein doofer, genervter Behördenfuzzi vor mir, der jeden für Abschaum hält, dessen Akte nicht mindestens nach einer Woche von seinem Schreibtisch verschwunden ist. Nein. Da saß eine selbstständig denkende Frau, die tatsächlich auf meiner Seite war. Der blanke Wahnsinn.
Leider habe ich mittlerweile wieder eine neue Arbeitsvermittlerin. Aber die ist bisher zumindest freundlich.

Falls hier Leute mitlesen, würde ich mich über eure Kommentare freuen. Was habt ihr für Erlebnisse mit dem Arbeitsamt gemacht?

Dienstag, 3. März 2015

Komm’, Digger, Limbo, schmeiß’ das Geld aus dem Window. - Besprechung der neuen Deichkind-Platte


Deichkind ist eine Band, bei der ich den seit Schulzeiten bestehenden Konflikt zwischen etwas mögen und etwas nicht mögen wollen, weil die breite Masse es mag, wieder aufkeimen spüre. Glücklicherweise habe ich mich nicht von der mich befremdenden Party-Exzess-Yolo-Fangemeinde, die man bei Konzertmitschnitten und auf Partymeilen beobachten kann, davon abhalten lassen, mir die neue Platte Niveau Weshalb Warum ausgiebigst zu Gemüte zu führen.

Es ist unglaublich, wie gut sie ist. Die Band war ja schon immer bekannt für ihre grandiosen, elektronischen Beats, die selbst eingefleischte Rockisten "zum Abschwofen bringen", wie meine Mutter sagen würde. Das wird auf diesem Album wieder einmal glänzend bewiesen (auf der Deluxe Edition sind sogar alle Instrumentals vorhanden). 

Und die Texte erst! Natürlich dürfen die üblichen paar Sauf-und-Feier-Hits nicht fehlen. Aber selbst die haben originelle, ironische und gesellschaftskritische Lyrics, die Spaß machen und gleichzeitig aktuelle und relevante Themen übermitteln. Inhalte sind beispielsweise der allgegenwärtige Selbstverwirklichungs- und Karrierefanatismus, die Überhand nehmende Internetkultur, First-World-Problems, Fresssucht, die bürgerliche Ignoranz gegenüber gesellschaftlichen Missständen und die Abneigung gegen Menschenmassen und Rudelbildung. 

Und wem das Album nicht reicht oder  wer nur wenig Patte auf Täsch hat, kann sich bis zum 11.03. die aktuelle musikexpress besorgen, denn die enthält eine Deichkind-Extra-CD namens Entfernte Verwandte, welche sogar fast noch besser als das eigentliche Album ist! Auf ihr befinden sich sechs geniale Demotracks, die klanglich experimenteller und lustiger sind, als es eine Mainstream-Platte je zulassen könnte.

Also Leude, bei Deichkind-Sound nicht an Ballermann-Discos, Bierbikes und Möchtegern-Hipster denken, sondern genießen!






Sonntag, 1. März 2015

„Wer nicht arbeitet, braucht auch nichts zu essen“ - Glaubenssätze aus dem deutschen Alltag



Ich möchte mich an dieser Stelle outen. Ich liebe Leserkommentare. Ob die FAZ, Spiegel Online oder die Zeit, oft genügt mir ein Blick in die Kommentare, um einen deutlichen Querschnitt durch die Denke der breiten Masse zu bekommen. Oftmals erübrigt sich sogar die Lektüre des eigentlichen Artikels, um zu verstehen, wo der gesellschaftliche Hase hinläuft. Ich konnte mir so gewissermaßen das Psychologiestudium sparen. Die menschliche Natur lässt sich auch ausgezeichnet anhand der Aussagen in Foren oder bei Facebook studieren.
Die Möglichkeit scheinbar anonym und ohne größere Konsequenzen zu allem seinen Senf dazugeben zu können, lockt unzählige Menschen aus ihren dunklen Löchern und Verschlägen, die man so wohl nie zu Gesicht bekommen hätte. Die Hemmungen fallen schnell, wenn keiner zurück spucken kann.
Nun gibt es auch genug Trolle. Menschen, die eine provokante Aussage, wie ein rohes Stück Fleisch in die hungrige Meute werfen und genüsslich dabei zusehen, wie sich die Menge gegenseitig darum reißt.

„Don’t feed the trolls“
 
Aber es gibt auch die Menschen, in denen gärt es schon lange. Sie warten nur auf die richtige Gelegenheit endlich ihre unverdaute Frustration der Menge entgegen kotzen zu können. Ob Impfdebatte oder zu niedrige Hartz IV – Unterstützung, man kann ziemlich sicher sein, dass bei solchen Themen eine sachliche Diskussion unmöglich ist.
Oft lese ich die Kommentare mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen. Wie bei einem Unfall, bei dem man einfach nicht wegschauen kann. Sicher wäre es interessant mal eine nicht empirische Kategorisierung der verschiedenen Kommentartypen vorzunehmen.
Manche Aussagen beschäftigen mich dann auch schon mal einige Tage. Eine war: Wer nicht arbeitet, braucht auch nichts zu essen. Ein Kommentar zu einem Spiegelartikel über Hartz IV. Nun glaubte der Mann seine Oma zu zitieren. Eine Freundin, die ich nach ihrer Meinung dazu fragte, zog sofort die Parallele zu einem gewissen Ort an dessen Eingangstor „Arbeit macht frei“ steht und ehrlich gesagt, war dies auch meine erste Assoziation.

Ideologie aus dem 3. Reich?

Nun handelt es sich hier aber weder um eine Ideologie aus dem Dritten Reich, noch um Weisheiten aus Omas Nähkästchen. Dieser Spruch stammt tatsächlich aus der Bibel, um genau zu sein aus dem 2. Brief des Paulus an die Thessanolicher. Nun heißt es aber dort: „so jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen.“
2006 hat der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering diesen Spruch wieder aufgegriffen, allerdings ohne das Wörtchen ‚will‘ was einige Gemüter erhitzte und den Rest trotzdem in eifriger Zustimmung mit dem Kopf nicken ließ. Schon enttäuschend solch einen Satz von Sozialdemokraten zu hören.
Aber es hilft ja alles nichts. Selberdenken ist mal wieder angesagt. Und ich sage euch jetzt mal was. Mir ist scheißegal ob dieser Spruch aus der Bibel, von Karl-Dieters Oma oder vom Weihnachtsmann stammt. Diese Aussage ist höchstproblematisch und, wenn man sie auf eine gewisse Weise auslegt, absolut antisozial.
Ich schätze zwar nicht, dass es der Bibel um die Rechtfertigung kapitalistischer Ausbeuter ging. Auch geht es mir hier nicht um eine Auslegung der Bibel. Fakt ist allerdings, wie die breite Masse diesen Satz heute versteht und immer wieder gebraucht. Menschen sollen ihrem Schicksal
überlassen werden, wenn sie zur Gemeinschaft nichts beitragen, frei nach dem Motto: Nur die Harten kommen in’n Garten.
Ich spare an dieser Stelle bewusst Kranke und Behinderte aus und möchte mal stillschweigend davon ausgehen, dass Leute, die unreflektiert solche alten Parolen bemühen, hoffentlich nicht auch diesen Personenkreis sich selbst überlassen würden. Ja, ich glaube manchmal doch noch an das Gute.
Menschen, die solch ein Zitat bringen, unterstellen ihren Mitmenschen einen Arbeitsunwillen. Nun frage ich mich, wie man den Arbeitswillen jedes Einzelnen überprüfen will. Aber wahrscheinlich reicht den meisten schon der Zustand der Arbeitslosigkeit selbst als Beweis dafür. Schließlich herrscht in einem Großteil der Bevölkerung ja immer noch das Motto, wer arbeiten will, bekommt auch Arbeit. Im Januar diesen Jahres standen 3.031.604 Arbeitslose 485.172 gemeldeten Stellen gegenüber. Auf ungefähr 6 Arbeitslose kommt also eine gemeldete Stelle. Und für die Vielen, die jetzt denken: Och, das ist doch noch alles im Rahmen. Zu diesen Stellen gehören auch jede Menge Minijobs, Teilzeitstellen, unterbezahlte Fristbeschäftigungen und prekäre Leiharbeit. Nicht jeder rennt jubelnd in die Brötchenfabrik, wo 12 - 14 Stundenschichten geschoben werden und Sicherheitsvorschriften eher Fremdwörter für die Vorgesetzten sind. Ebenso ist es vielleicht nicht jedermanns Sache sich täglich stundenlang im Callcenter von frustrierten Kunden anbrüllen zu lassen und die Frage nach der Vergütung von Überstunden zirpende Stille im Kopf des Teamleiters auslöst.  

Aber wie heißt es so schön: Sozial ist, was Arbeit schafft.

Auch wenn man nicht davon leben kann, auch wenn man ausgebeutet wird, auch wenn man sich überhaupt nicht wertgeschätzt fühlt in dem was man tut, auch wenn man unglücklich ist. Hauptsache Arbeit. Um gute Arbeit, faire Arbeit geht es schon lange nicht mehr. Um Arbeit auf Augenhöhe.
Auch die Definition von Arbeit ist für mich in der Hinsicht zu einfach gestrickt. Hausarbeit, Kindererziehung, Ehrenamt, Pflege von Angehörigen oder sonstige Tätigkeiten zählen nach dieser Kategorisierung wohl eher nicht unter dieses Prinzip. Hier geht es um reine Erwerbsarbeit gegen Geld.
Letztlich impliziert die Aussage „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ Zwang und die Erpressbarkeit jedes Einzelnen. Arbeiten um jeden Preis, zu jeder Kondition und unter jeglichen Bedingungen, nur um der Schande sozialer Ausgrenzung und dem Vorwurf, anderen auf der Tasche zu liegen, zu entgehen. Wenn dies die einzige Motivation in unserer Gesellschaft ist, arbeiten zu gehen, dann halte ich diesen Glaubenssatz – denn mehr ist diese Aussage nicht – für höchst fragwürdig.  
Würde ich das aus dem Mund von Politikern und Konzernchefs hören, würde ich mit den Achseln zucken. Ich erwarte von ihnen nichts anderes mehr. Schwierig wird es für mich dagegen schon, wenn solche Sprüche von Stammtischbrüdern und kleinen Arbeitern kommen. Ihr Beweggrund ist nicht die Gier nach immer mehr Geld, sondern lediglich die kleingeistige Verteidigung ihres eng abgesteckten Territoriums. Auf mich wirkt es, wie der Versuch, das triste Arbeitsdasein aufzuwerten, indem man sich von dem faulen Arbeitslosenpack abgrenzt. Oder wie kommt man darauf, so selbstgerecht über andere zu urteilen?

Zum Schluss möchte ich noch sagen:

Vielleicht ist es an der Zeit nicht immer nach unten zu treten und auf die Kleinen drauf zu hauen. Es soll ja auch reiche Menschen geben, die nicht arbeiten. Sollen die dann auch nicht essen, obwohl die Geld haben? Vielleicht sollten wir mal nach oben blicken und überlegen, ob da so alles richtig läuft. Wenn wir uns trauen...