Montag, 23. Februar 2015

Buchrezension: Eva Lohmanns offenherziges Roman-Debüt „8 Wochen verrückt“ über Normalität und andere Verrücktheiten



‚Mein Körper funktioniert an so vielen Stellen nicht mehr… Manchmal fühle ich mich wie eine kaputte Puppe, die zu nichts mehr zu gebrauchen ist. Von der man nichts mehr erwarten kann. Die man besser auf den Müll schmeißen sollte. Am liebsten würde ich den ganzen Tag im Bett bleiben und von der Welt da draußen nichts mitbekommen. Aber das geht mit meinem Job nicht. Also hab ich mich halt gezwungen in den letzten Wochen und Monaten. Aufstehen, arbeiten, ins Bett gehen. Viel mehr war da nicht. Ich habe mein Leben auf ein Minimum runtergefahren und trotzdem unendlich viel Energie gebraucht, um es einigermaßen auf die Reihe zu kriegen, verstehen Sie?’ 



Als Mila diese Worte ausspricht, ist sie seit einer Woche in einer Klinik für psychosomatische Krankheiten. Im Klartext: In der Klapse. Ihre Diagnose: Depression und Burnout. Dabei scheint ihr Leben so normal, wenn nicht sogar perfekt. Sie ist 27,  arbeitet als Werbetexterin und ist vor einem Jahr befördert worden. Ihr Gehalt hat sich verdoppelt. Sie lebt in einer Partnerschaft, hat viele Freunde. Doch irgendetwas läuft falsch. Ganz falsch. Sie ist nicht glücklich. Aber wie soll man sich so etwas ernsthaft eingestehen, in Zeiten der Wirtschaftskrise? Wäre das nicht undankbar? Total verrückt? Also macht Mila einfach weiter. Ihre Ansprüche an sich selbst sind hoch: ‚Meine Freunde um mich rum arbeiten zwölf Stunden am Tag, machen Karriere, schmeißen ihren Haushalt, schlagen sich die Nächte um die Ohren und planen demnächst noch Kinder zu bekommen. Ich beneide sie – aber ich kann da einfach nicht mithalten.’ Sie bricht zusammen und wird in eine Klinik eingewiesen. Aus geplanten 6 Wochen werden 8.

Psychosomatische Klinik. Klapsmühle. Irrenanstalt. In vielen weckt das Unbehagen. Man denkt an den verstörenden Film „Einer flog übers Kuckucksnest“ mit Jack Nicholson. Doch die Realität ist weit davon entfernt. Keine Elektroschocks, keine Psychohammerpillen. Niemand wird gegen seinen Willen ans Bett gefesselt. Mila vergleicht die Klinik bei ihrer Ankunft im Warteraum eher mit der Lobby eines Hotels. Nicht das Äußere, nicht die Umwelt ist es, was Angst einflößt, was Schwierigkeiten bereitet, sondern das Innere, das Selbst. Es wirft sich verzweifelt die Frage auf: Was ist normal, was ist verrückt.

Eva Lohmann hat viel gemeinsam mit ihrer Heldin. Die 1981 geborene und in Hamburg lebende Autorin erlebte selbst einen Zusammenbruch mit anschließendem Aufenthalt in einer Klinik. Auch arbeitet sie wie Mila als Werbetexterin. Die Eindrücke und Gedanken ihrer Klinikerfahrung hielt sie in einem Tagebuch fest, welches die Grundlage dieses sehr persönlichen Romans bildet. Diesen ‚Infarkt ihrer Seele’, wie sie ihre Depression in einem Interview selbst nennt, geht sie offen und unkompliziert an.

Die Hamburgerin will eines deutlich machen: Eine psychische Erkrankung kann jeden treffen. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Es ist, wie es ist. Ihr Roman kommt daher ohne Selbstmitleid und ohne aufdringliche Belehrung aus. Kein Voyeurismus, kein Aufgeilen am Elend psychisch Kaputter. Die Botschaft ist vielmehr: Es ist okay im Leben auch mal nicht weiter zu wissen, eine Pause einzulegen, die Fahrtrichtung zu ändern.

In acht Kapiteln, von denen jedes einzelne jeweils eine der acht Wochen Klinikaufenthalt schildert, begleitet der Leser Mila durch ihre Konfrontation mit sich selbst und durchlebt mit ihr die Höhen und Tiefen ihrer Genesung. Es fällt nicht schwer, sich in ihre Situation einzufühlen, ihre anfängliche Unsicherheit, die Eingewöhnung in den Klinikalltag, das Kennenlernen der Mitpatienten mitzuerleben. Mila wird dem Leser schnell zu einer Art Freundin, der man die Hand halten möchte.

Mila auf dem Narrenschiff

Die Frage was eigentlich normal ist, muss sich aber nicht nur Mila stellen, sondern dass müssen auch ihre ‚Mitinsassen’. Mit feinem, aber niemals bösem Humor und einer genauen Beobachtungsgabe beschreibt die Autorin die verschiedenen Charaktere. Das Narrenschiff auf dem Mila segelt, beherbergt Magersüchtige, Adipöse, Transsexuelle, Patienten mit Persönlichkeitsspaltung: ein Querschnitt durch die menschliche Psyche sozusagen. Deshalb wundert es auch wenig, dass Lohmann auf der ersten Seite ihres Buches Lewis Carrol zitiert. Denn so fühlt sich Mila. Sie hat sich irgendwann einfach fallen lassen, wie sie selbst sagt, und bewegt sich nun wie Alice im Wunderland zwischen dem verrückten Hutmacher und der Grinsekatze. Eine wundersame Welt. Doch sie akzeptiert schnell, dass die Normalität, an die sie bisher geglaubt hat, bloß ein von ihr selbst geschaffenes Konstrukt ist und wenig mit der Vielschichtigkeit des wahren Lebens zu tun hat. 


Eva Lohmann ist ein authentischer Roman gelungen, was wir nicht zuletzt ihrem Mut zu verdanken haben, ihre eigenen, sehr persönlichen Erfahrungen mit in die Geschichte einfließen zu lassen. Trotz einer stetig wachsenden Zahl von Betroffenen sind Themen wie Burnout, Depression oder andere psychische Erkrankungen nach wie vor ein Tabu, auch wenn sich unsere Gesellschaft oft ihrer großen Offenheit und Vorurteilsfreiheit rühmt. ‚8 Wochen verrückt’ bricht dieses Schweigen und zeigt, dass das Leben eben nicht immer glatt läuft.

 



Diese Rezension bezieht sich auf folgende Buchausgabe:

Eva Lohmann: 8 Wochen verrückt. Pieper-Verlag, München 2011, 1. Auflage, gebunden mit Schutzumschlag, 195 Seiten, 16,95 €, ISBN: 978-3-492-05439-3.

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